Ottorino Respighi
(geb. Bologna, 9. Juli 1879 — gest. Rom, 18. April 1936)

Pastorale
(1908)
Freie Transkription von Giuseppe Tartini (1692–1770)
Sonate A-Dur
für Violine und Streichorchester

Vorwort
»Unsere Komponisten haben bestimmte volkseigene, traditionelle Qualitäten eher instinktiv als durch emsige Studien der Musik der Vergangenheit wiederentdeckt – wahre und unmißverständliche Qualitäten Italiens: Ein Gespür für präzise Gestaltung, sowohl nüchtern wie auch ausdrucksvoll, ein Gespür für klare, stabile Formen, die zugleich neu und kühn waren,ebenso wie für logische, konzise musikalische Diskurse, die zugleich auch variiert wurden; mithin also für kühne Erkundungen, ausgehend von einer soliden Basis: Eine Abneigung gegen das Gewöhnliche, gegen sentimentale Übertreibung und rethorischen Bombast nicht weniger als gegen jene Anarchie und Unordnung, die uns die Anhänger des Verismo und Musikdramas unbedingt als ›Inspiration‹ oder Ausdruck verkaufen möchten.« (Domenico de Paoli, La Crisi Musicale Italiana (1900-1930), Mailand, Hoepli-Verlag, 1939, S. 60.)

Die Generation der um 1880 geborenen italienischen Komponisten – Casella, Pizzetti, Malipiero und Respighi – nutzten die Musik aus der Zeit bis zum 18. Jahrhundert, um ihr eigenes Schaffen zu beleben, aber diese ›Anleihen‹ wirkten sich auf die sich weiterentwickelnden Komponisten ganz individuell und in unterschiedlichem Grad aus. Sicherlich reflektierte ihre Vereinnahmung alter Musik keineswegs eine einheitliche Schule der Denkrichtung. In Respighis Natur lag es, sich Musik einer früheren Zeit wiederzuerschaffen im opulenten Gewand der von Richard Strauss und Ravel angeführten Harmonik, Textur und Instrumentationskunst der Jahrhundertwende. Zugegebenermaßen gibt es von ihm aber auch einige gedämpfte Erkundungen der alten Modi – das Concerto Gregoriano für Violine und Orchester (1921), das Concerto in Modo Misolidio für Klavier und Orchester (1925) und das besonders erfolgreiche Quartetto Dorico (1924) – und darüber hinaus noch eine freie Neu-Erfindung des Concerto Grosso in Gestalt seines Concerto a cinque (1933). Doch seine wohl besten Werke mit Vergangenheitsbezug sind die, die sich glücklich mit spätromantischen Mitteln vereinigen, insbesondere die stimmungsvolle Lauda per la Natività del Signore (1930) und das hinreißende Trittico Botticelliano (1927). Nachdem er eine formidable Instrumentationstechnik entwickelt hatte, die sich am verlockendsten in der Tondichtung Fontane di Roma (1916) zeigt, verwandte Respighi diese mit zunehmend weniger Diskretion und Geschmack in den beiden Fortsetzungen, Pini di Roma (1924) und Feste Romane (1928). Auch seine Reihe freier Instrumentierungen in den drei Suiten Antiche danze ed arie per liuto (1917, 1923, 1931) stieß die Puristen ab, interessierte und begeisterte allerdings das Publikum. Die hier vorgelegte Bearbeitung von Tartinis A-Dur-Sonate (Pastorale) stammt dagegen aus einem viel früheren Lebensabscbnitt Respighis – aus dem Jahr 1908, mit einer Uraufführung ein Jahr später in Berlin. Der Komponist stammte aus Bologna, und am städtischen Konservatorium wurde seine Ausbildung besorgt von Giuseppe Martucci im Fach Komposition und von dem bedeutenden Forscher für alte Musik, Luigi Torchi, im Fach historische Studien. (Respighi hielt sich außerdem zweimal in Russland auf, um Stunden beim Rimskij-Korsakov zu nehmen.) Angesichts der Anleitung durch Torchi nimmt es nicht Wunder, daß man unter Respighis frühen Werken zahlreiche Bearbeitungen und Transkriptionen von Werken des 17. und 18. Jahrhunderts findet. Aus der Zeit um 1906 sind von ihm Realisationen von Sonaten von Ariosti, Bach, Locatelli, Porpora, Tartini, Veracini, Vitali und Vivaldi erhalten. Die meisten davon sind für Violine und Klavier, doch Tartinis Sonate in A, Bachs Sonate in E (BWV 1023) und Vitalis Ciaconna in G wurden von ihm 1908 auch für Violine und Streichorchester transkribiert.

Der Geiger Tartini schrieb viele Sonaten und Konzerte für sein Instrument, deren Stil von Paul Brainard als »eine besondere Mischung aus Lyrizismus, Pathos und Virtuosität« beschrieben wurde (The New Grove Dictionary of Music and Musicians, London, MacMillan, 1980, Vol. 18, S. 586.) Die Pastorale besteht aus drei Sätzen: Grave, Allegro sostenuto, Largo. Die ersten beiden Sätze sind zweiteilig; das Finale ist die namensgebende, seltsame Pastorale im 12/8-Takt, mit Bordunbässen und langsamen Harmoniewechseln, aber auch zwei Presto-Einschüben, die ein lydisches Dis in die Fortschreitungen einweben. Im ersten Satz führte Respighi die Aussetzung des Generalbasses einigermaßen geradlinig aus, wie für ein Tasteninstrument, doch fügte er, wo er kann, Kontrapunkte, Imitationen und Verdickungen hinzu. So wurde zum Beispiel aus der Folge von Sextakkorden ab T. 7 ein komplementärer Dialog fallender Oktaven zwischen ersten und zweiten Violinen. Die Kontrabässe wurden zurückgehalten, um die Kadenzfiguren am Ende jeder Hälfte besser herausstellen zu können. Der folgende schnelle Satz nimmt das lebhafte Geschwätz von Gli Uccelli (1928) vorweg, einer weiteren Suite barocker Transkriptionen. Das ist klare, überschwängliche Musik eines Komponisten, der hörbar in seinem wachsenden Können schwelgt. Die Artikulationen und Dynamik-Angaben wie auch die vielen mit sostenuto bezeichneten Stellen sind allerdings sehr un-barock. Im Finale ist jeder Streicherstimme geteilt; eine Hälfte spielt mit Dämpfer, die andere ohne, was zu Echo-Effekten einlädt. Hier wie auch in den anderen Sätzen ist der Solo-Part genau wie von Tartini geschrieben, aber die Begleitung beträchtlich ausgearbeitet: Die dem Streichorchester eigene Fülle wird ausgenutzt, was die zeitlose Qualität der Musik unterstreicht. Im zweiten Presto-Abschnitt führt das Solo Sechzehntel ein, die bald darauf auch durch die Begleitung sticheln. Eine Coda mit Moll-Wendungen löst sich nach Dur auf und schließt einen außergewöhnlichen, dreifachen Vorhalt ein, dessen oberste Note regelrecht gegen die gleichzeitig erklingende Tonika drückt. Die Instrumentierung dieses Schlußakkords steht vielleicht stellvertretend für Respighis persönliche Vision dieses geistvollen Werkes im Ganzen.

Respighi war übrigens nicht der einzige italienische Komponist des 20. Jahrhunderts, der sich mit Tartinis Musik beschäftigte: Aus der nächsten Generation war es Luigi Dallapiccola (1904–1975), wie Tartini auf Istrien geboren, der eine Tartiniana (1951) für Violine und Kammerorchester schrieb, und sogar noch eine Fortsetzung davon (Tartiniana Seconda, 1956). Seine eigene dodekaphonische Voreingenommenheit leugnend, wieder tonal zu schreiben, gab sich Dallapiccola in diesem Werk eine Möglichkeit, Kombinationen und Möglichkeiten des Kontrapunkts zu erforschen, die er dann später weiterführte, als er zu seinem üblichen Stil zurückkehrte. Wenn dagegen Respighis Umgang mit alter Musik je für irgendetwas das Versuchsgelände bot, dann für sein Können im Instrumentieren: Die Pastorale zeigt seine generelle Vorliebe für das Ausschmücken in attraktivster Weise.

Alasdair Jamieson, © 2010

Hinweis für den Leser
In dieser Sonate verwendete Tartini die Technik der sogenannten Scordatura, bei der die Saiten der Streicher anders als gewöhnlich gestimmt werden. In diesem Fall sind die beiden untersten Saiten der Solovioline um einen Ganzton heraufzustimmen. Darauf sei hier vorsichtshalber hingewiesen, da dies das Lesen der Partitur erschweren kann.

Empfohlene Einspielung
Ottorino Respighi: Werke für Violine und Orchester (Transkriptionen der Pastorale von Giuseppe Tartini und der Chaconne von Tomaso Vitali wie auch sein eigenes Concerto all' Antica und Concerto a Cinque); Ingolf Turban, Violine; English Chamber Orchestra; Marcello Viotti, Dirigent (Claves CD 50-9017).

Orchesterstimmen sind erhältlich bei Ricordi, Mailand.

Ottorino Respighi
(b. Bologna, 9 July 1879 — d. Rome, 18 April 1936)

Pastorale
(1908)

A free Transcription of
Giuseppe Tartini
(1692–1770)
Sonata in A Major
for Violin and String Orchestra

 

Preface
"Our composers rediscovered certain indigenous, traditional qualities, more by instinct than by any assiduous study of music from the past – true and unmistakeably Italian qualities: a taste for precise design, sober and expressive, as much as for clear, stable constructions that were also new and daring; a taste for logical, concise musical discourses that were also varied; for bold questing from a firm base-line: an aversion to the commonplace, to sentimental overstatement and rhetorical bombast no less than to anarchy and disorder passed off as 'inspiration' or expression by any means by the devotees of verismo and music drama."(Domenico de Paoli, La Crisi Musicale Italiana (1900-1930), Milan, Hoepli 1939, p. 60.)

The generation of Italian composers born around 1880 – Casella, Pizzetti, Malipiero and Respighi – used the music of the eighteenth century and earlier to energise their own output, but these 'borrowings' impinged on the emerging composers in very individual ways and to different degrees, and certainly their assimilation of early music in no way reflected a unified school of thought. Respighi's natural tendency was to re-imagine music of a previous era in the opulent garb of the turn-of-the century harmony, texture and orchestration pioneered by Richard Strauss and Maurice Ravel. Admittedly there are some more muted explorations of the old modes – the Concerto Gregoriano for violin and orchestra (1921), the Concerto in Modo Misolidio for piano and orchestra (1925) and the particularly successful Quartetto Dorico (1924) – as well as a free re-invention of the concerto grosso in his Concerto a cinque (1933). Probably the finest works in which regard for the past is happily fused with post-Romantic inclinations are the atmospheric Lauda per la Natività del Signore (1930) and the ravishing Trittico Botticelliano (1927). Having developed a formidable orchestral technique exhibited at its most alluring in Fontane di Roma (1916), Respighi uses it with progressively less discretion and taste in the sequels, Pini di Roma (1924) and Feste Romane (1928). His series of free orchestrations of Antiche danze ed arie per liuto (1917, 1923, 1931) dismayed the purists but intrigued and delighted the public. The present arrangement of Tartini's Pastorale dates from a much earlier period in Respighi's life – 1908, with a first performance in Berlin in 1909. The composer hailed from Bologna, and at the city's Liceo Musicale his formazione was overseen by Giuseppe Martucci for composition and by the eminent early music scholar Luigi Torchi for historical studies. (He also spent two sojourns in Russia taking lessons from Rimsky-Korsakov.) Given Torchi's guidance, it is not surprising to find many arrangements and transcriptions of seventeenth and eighteenth century works in Respighi's youthful output. So, from around 1906 we find realisations of sonatas by Ariosti, Locatelli, Porpora, Veracini, Vivaldi, Bach, Vitali and Tartini. Most of these are for violin and piano, but Tartini's Sonata Pastorale in A was subsequently transcribed for violin and orchestra later in 1908.

Tartini was a violinist who wrote many sonatas and concertos for the instrument in a style characterised by Paul Brainard as "a peculiar blend of lyricism, pathos and virtuosity." (Entry for Tartini in The New Grove Dictionary of Music and Musicians, London, MacMillan, 1980, vol.18, 586.) The [Sonata] Pastorale is cast in three movements: Grave, Allegro sostenuto, Largo. The first two are binary form movements, the finale is the titular – and quirky – 'pastorale' in 12/8 with drones and a slow pace of harmonic change certainly, but with two presto inserts that introduce a Lydian D sharp into proceedings. In the opening movement Respighi both opens out a possible keyboard realisation in a straightforward fashion, but also adds counterpoints, imitations and textural thickening when he can. Thus, for instance, the stream of first inversion chords at the start of bar 7 becomes a complementary dialogue of swooping octaves between first and second violins. Double basses are held back to point up the cadential figures at the end of each half. The following fast movement anticipates the vigorous chatter of Gli Uccelli (1928), another suite of arrangements. This is bright, embullient music, with a clear sense of a composer revelling in his burgeoning ability. Very un-Baroque are the many articulation and dynamic indications, together with moments marked sostenuto. In the finale, each line of the string orchestra is divided in two, with one half playing with mutes, the other without, thus inviting echo effects. Here, as in the other movements, the solo violin part is that which Tartini composed, but the accompaniment is elaborated considerably. The wide range available to string orchestras is exploited, emphasizing the timeless quality of the music. During the second presto intervention, the soloist introduces semiquavers, which quickly appear skittering through the accompanying texture. A coda with minor key inflections resolves to the major and includes an extraordinary triple suspension in which the leading note squeezes right up to a simultaneously sounded tonic. The scoring of the final chord is perhaps emblematic of Respighi's personal version of this spirited work.

Respighi was not the only twentieth century Italian composer to have been taken with Tartini's music. From the next generation Luigi Dallapiccola (1904–1975), who, like Tartini, was born on the Istrian peninsula, wrote Tartiniana (1951) for violin and chamber orchestra. (There was even a sequel of this – the Tartiniana Seconda from 1956.) In forsaking his dodecaphonic predilections to write tonally again, Dallapiccola here gave himself an opportunity to explore contrapuntal combinations and intricacies which he would then develop further when he returned to his accustomed style. If Respighi's treatment of early music was a testing ground for anything, it was for his orchestral craftsmanship; the Pastorale shows off his essentially decorative attitude in a most attractive way.

Alasdair Jamieson, © 2010

A Note for the Reader
In this sonata Tartini employed the Scordatura technique, which consists of a deviant tuning of the strings, in this case the tuning up a whole tone of the two lowest strings. It should be noted that this may cause some difficulties in reading the score.

Recommended Recording
Ottorino Respighi: Works for Violin and Orchestra (including his transcriptions of the Pastorale by Giuseppe Tartini and the Chaconne by Tomaso Vitali as well as his own Concerto all' Antica and Concerto a Cinque); Ingolf Turban, Violin; The English Chamber Orchestra; Marcello Viotti, Conductor (Claves CD 50-9017).

Orchestral parts are available from Ricordi, Milano.