Sergei Taneyew
(geb. Wladimir, 25. November 1856 - gest. Moskau, 19. Juni 1915

Streichquartett Nr. 3 op.7
Gewidmet Sergej Rachmaninow

 

Vorwort
Als jüngster von drei Söhnen erfreute Sergey Taneyev seinen Vater Ivan Il'yich, einen Amateurgeiger, Pianisten und Gitarristen, mit seinem frühreifen musikalischen Talenten. Während Ivan sich redlich bemühte, seiner Frau und den beiden älteren Söhne die obligatorisch an jedem Tag stattfindenden Musizierstunden schmackhaft zu machen, war Sergey ganz versessen darauf, Duette mit seinem Vater zu spielen. Der einzige Wermutstropfen war, dass seine erste Klavierlehrerin ihm ausdrücklich verbot, dem Spiel seines Vaters zuzuhören, geschweige denn mit ihm zu spielen. Sie war besorgt, dass Ivan Il'yichs unbedarftes und wenig musikalisches Spiel abträglich für Sergeys musikalische Entwicklung sein könne. Ihre Entscheidung erwies sich als ganz richtig und bewahrte Taneyev davor, einen unbedingten Hass gegenüber der Musik für den Rest seines Lebens zu entwickeln - ein Schicksal, das seinen jüngeren Bruder Vladimir ereilte.

So ergab es sich, dass Sergey Taneyev eine der grossen Persönlichkeiten der russischen Musik der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde, deren Bedeutung als aufführender Künstler, Komponist, Theoretiker und Pädagoge erst heute beginnt, in der westlichen Welt entdeckt zu werden. Als Schüler von Nikolai Rubinstein und Peter Tschaikowsky und Lehrer von Rachmaninow and Scriabin übernimmt Tanejew die Rolle eines Bindeglieds zwischen diesen Generationen, eine Funktion, die noch genauer erforscht und bewertet werden muss. Er war ein ergebener Schüler des Kontrapunkts und der frühen Musik, ein leidenschaftlischer Verfechter des Esperanto in Russland, ein Fachmann für alte griechische Geschichte und Literatur, und nicht zuletzt verfügte er über einen brillianten Geist, jederzeit bereit für einen Scherz oder einen Seitenhieb. Darüber hinaus auch noch ein heimlicher Verehrer Richard Wagners und Objekt der unerwiderten Liebe von Sofia Tolstoy.
Tanejew stand die längste Zeit seines schöpferischen Lebens im Schatten Tschaikowskys, erst als sein Schüler, später als Kollege. War Tanejew anfangs seines Lehrers liebster Schüler, entwickelte er sich nach und nach zu seinem objektivsten Kritiker und engsten Freund, und ihre Freundschaft dauerte bis zu Tschaikowskys Tod. Oft kommentierte er dessen musikalisches Schaffen, und in vielen Fällen war dem älteren Komponisten seine Meinung wichtiger als die vieler anderer Musiker. Im Gegenzug war Tanejew dankbar für Kritik und rat von seinem älteren Kollegen. Diejenigen, die nun von ihm erwarteten, in einer ähnlich ausufernden Weise wie sein Lehrer zu komponieren, wurden enttäuscht durch seine ganz anders geartete ausdrucksstarke Sprache, gekennzeichnet von erhabener Würde und solider Technik.

Tatsächlich gab Tanejew gegenüber Freunden und Kollegen seinen Gefühlen selten Ausdruck, und seine Tagebuchaufzeichnungen sind zurückhaltend und knapp, jedoch finden sich hier einige Eintragungen, die Bände sprechen. Hier gibt er für flüchtige Momente Einblick in seine innere Welt, und man gewahrt einen Menschen, der die Einsamkeit fürchtete und sich nach menschlichem Kontakt verzehrte, jedoch zu gut wusste, dass ihm ein Leben in Einsamkeit bestimmt war. Er war davon überzeugt, dass seine einzige Möglichkeit darin bestünde, mehr Musik zu schaffen und sie auf die bestmögliche Weise zu schreiben. Aber selbst in seinen Tagebüchern gab er wenig von seinen innersten Gefühlen preis. Seine Musik zielte nie darauf, zu beeindrucken, alles war mit Bedacht und Grund geschrieben, und wenn er in seltenen Augenblicken seine Gefühle nicht bei sich behalten konnte, hören wir den wahren Tanejew, den sehr privaten, aber tiefgründigen Menschen, der viel zu geben und zu teilen hat.

Als Komponist war Tanejew unbestritten der Meister der russischen Kammer-musik. Seine Streichquartette, Trios, sein Pianotrio - und Quintettwurden zum unschätzbaren Bestandteil des russischen Kammermusikrepertoires. Der russische Kritiker Boris Asaf'yev schrieb, dass mit Tanejews Beiträgen zur russischen Kammermusik diese endlich begann, die Phase von isolierten, mehr oder weniger erfolgreichen Kompositionen zu verlassen, wie auch die Phase der Salonmusik, und in die Sphäre höchster musikalischer Selbst-verwirklichung einzutreten. Der Autor E. Gunst glaubte, dass es schwierig sei, fast unmöglich, einen Komponisten nach nachklassischen Zeit zu finden, der eine solch umfassende Meisterschaft des kammermusikalischen Stils entwickelt habe wie Tanejew.
Seine Kompositionen für Kammerensembles waren ein grosses Geschenk an alle Musiker, die auf der Suche nach einem neuen Repertoire waren, wie etwa das Tschechische Quartett, das seine Werke förderte und mit grosser Zustimmung aufführte. Gelegentlich gesellte Tanejew sich selbst zum Tschechischen Quartett, wenn es darum ging, Werke mit Klavier aus seiner Feder aufzuführen. Während des Dezembers 1908 gab Tanejew Konzerte in Berlin, Wien und Prag. Besonders letztere waren sehr erfolgreich und brachten ihm grosse Popularität ein und ermöglichten ihm Kontakt mit tschechischen Musikern.

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Für die Vollendung seines dritten Streichquartetts brauchte Tanejew 26 Jahre. Den ersten Satz schrieb er 1874, als er noch Student in Tschaikowskys Kompositionsklasse war. 12 Jahre später vollendete er ihn im August 1886 als Direktor des Moskauer Konservatoriums. Dieses aus drei Sätzen bestehende Werk - Allegro moderato; Allegro Vivace und Thema mit 8 Variationen - war Tschaikowsky gewidmet und wurde am 7. Dezember 1886 in Moskau uraufgeführt.

1895 wünschten die Mitglieder des Tschechischen Quartetts, das Werk in Russland und Europa aufzuführen, und so entschloss Tanejew sich zu einer Überarbeitung der Komposition. Er entfernte den zweiten Satz und komponierte eine neue Variation. Am 6. August 1897 war das Werk vollendet. Es wurde am 18. März 1898 in St. Petersburg uraufgeführt und im gleichen Jahr in Leipzig veröffentlicht, diesmal mit einer Widmung an Tanejews ehemaligen Studenten Sergey Rachmaninov.

Ein russischer Kritiker, Herman Laroche, schätzte diese Komposition sehr, er bewunderte deren erlesenen klassischen Stil und Struktur, die Schönheit der Harmonien, die Wärme des Gefühls, das gänzliche Fehlen von oberflächlichen orchestralen Effekten und die reiche und variationsreiche Instrumentierung. Laroche Ansichten widersprachen denen eines weiteren Kritikers, Semyon Kruglikov, der äusserte, eine Leidenschaft für alles Überkommene habeTanejew als Komponisten ausgetrocknet habe. Er glaubte, dass Kontrapunkt, mit seinen in einer toten musikalischen Sprache ausgedrückten Ideen nicht weiter sei als ein lebloses Spiel mit Klängen. Tanejew aber beharrte immer darauf, dass der Kontrapunkt künstlerischen Zielen dienen können, sobald ein Komponist Meisterschaft über die Feinheiten der Polyphonie gewonnen habe - was er selbst in seinem Werk auf bewunderswürdige Weise demonstrierte. Das Quartett huldigte den zwei Komponisten, die Tanejew über alles bewunderte - Mozart und Tschaikowsky. Nachklänge von Mozarts Stil und harmonischer Sprache verbinden sich mit Tschaikowskys Behandlung der Variationsformen, aber die Wiederkehr des thematischen Materials des ersten Satzes am Ende des Quartetts ist ein Kennzeichen von Tanejews reifem Stil, wie man ihn in seinen symphonischen Werken und der Kammermusik hören kann.

Anastasia Belina, 2010

 

Wegen Aufführungsmaterial wenden sie sich bitte an Musikproduktion Höflich (www.musikmph.de), München. Nachdruck eines Exemplars aus der Sammlung Andre Golovin, Moskau.

Sergei Taneyev
(b. Wladimir, 25. November 1856 - d. Moskau, 19. Juni 1915

String Quartet No. 3 Op. 7
Dedicated to Sergey Rachmaninov

Preface
The youngest of three sons, Sergey Taneyev delighted his father Ivan Il'yich, an amateur violinist, pianist, and guitarist, with his precocious musical talent. While Ivan struggled to make his wife and two older sons enjoy the compulsory daily music-making sessions, Sergey was eager to play duets with his father. The only drawback was that his first piano teacher categorically forbade him even to listen to his father's playing, let alone play with him. She was afraid that Ivan Il'yich's haphazard and unmusical approach would have a detrimental effect on Sergey's musical education. Her decision proved to be right, and preserved Taneyev from developing a vehement hatred for music for the rest of his life – the fate that befell his older brother, Vladimir. What is more, Sergey Taneyev became a monumental figure in Russian music of the second half of the nineteenth century, whose significance as a performer, composer, theorist, and a pedagogue is only beginning to be discovered in the West. A pupil of Nikolay Rubinstein and Tchaikovsky, and a teacher of Rachmaninov and Scriabin, Taneyev emerges as a link between these generations that is yet to be properly examined and evaluated. Taneyev was a devout scholar of counterpoint and early music; a passionate promoter of Esperanto in Russia; a scholar of ancient Greek history and literature; an owner of brilliant mind always ready to fire a joke or a punt; a closet Wagnerain; and an object of Sof'ya Tolstaya's unrequited love.

Taneyev spent most of his creative life in Tchaikovsky's shadow, first as a pupil, and later as a colleague. Tchaikovsky's favourite student, Taneyev gradually became one of his most objective critics and closest friends, their friendship lasting until Tchaikovsky's death. Taneyev often commented on Tchaikovsky's music, and in many cases his opinion was more important to the older composer than that of any other musician. In turn, Taneyev was grateful for the criticism and advice from his senior colleague. Yet those who expected him to write in the same expansive way as his teacher were disappointed to find a different kind of expressive language, one characterized by noble gravitas and technical solidity.

In fact Taneyev seldom divulged his feelings to his friends and colleagues, and even his diaries are circumspect and concise, but there are a few entries that speak volumes, where he exposes his thoughts for a fleeting moment, and where one can catch a glimpse of a person who was afraid of loneliness and who craved human contact, but who knew only too well that he was doomed to a life of solitude. He believed that his only option was to write more music, and write it in the best way he could. Even there, however, just as in the diaries, he kept the innermost emotions to himself. His music never aimed to impress, everything was written for a reason, and when at rare moments he was unable to contain emotions, we hear the real Taneyev, a private man, but a profound one, with much to give and to share.

As a composer, Sergey Taneyev was undisputable master of chamber music in Russia. His string quartets, trios, piano trio, and piano quintet made an invaluable addition to the chamber music repertory in Russia. Russian music critic Boris Asaf'yev wrote that "with [the appearance of] Taneyev's works Russian chamber music finally left the phase of lonely, more or less successful compositions, as well as the phase of salon music-making, and entered the sphere of highest musical self-realisation."

A reviewer E. Gunst believed that 'It would be difficult, almost impossible, to find a composer of post-classical period who has such a tremendous mastery of chamber ensemble style as Taneyev.'

Taneyev's compositions for chamber ensembles were a great gift to performers in search of new repertoire, such as the famous Czech Quartet, who championed his works, performing them to great acclaim. Taneyev himself frequently joined the Czech Quartet in performing the piano part in his compositions for chamber ensembles with piano. Throughout December 1908 Taneyev gave concerts in Berlin, Vienna, and Prague. Prague concerts were particularly successful, earning him great popularity and bringing him close to many Czech musicians and performers.

It took Taneyev 26 years to complete his String Quartet No. 3. He wrote the first movement in 1874 when he was a student in Tchaikovsky's composition class. He finished it twelve years later, in August 1886, when he was the Director of the Moscow Conservatoire. This three-movement work—Allegro moderato; Allegro Vivace; and Theme with 8 variations—was dedicated to Tchaikovsky, and premiered in Moscow on 7 December 1886.

In 1895, the members of the Czech Quartet wanted to perform the quartet in Russia and Europe, and Taneyev decided to revise it. He took away the second movement, and composed a new variation, finishing the work on 6 August 1897. It was premiered on 18 March 1898 in St. Petersburg, and published in Leipzig in 1898, this time dedicated to Taneyev's former student, Sergey Rachmaninov.

One Russian critic, Herman Laroche, regarded this quartet highly, admiring its delicate classical style and structure, beautiful harmonies, warmth of feeling, absence of showy orchestral effects, and rich and varied instrumentation. Laroche's opinion contrasted with that of another critic, Semyon Kruglikov, who wrote that 'a passion to everything ancient dried Taneyev up [as a composer]'. He believed that 'counterpoint, with its ideas expressed in a dead musical language, is nothing more than a lifeless play with sounds.' But Taneyev always maintained that counterpoint could serve artistic aims as soon as a composer gains mastery over polyphonic intricacies—something he demonstrated admirably in this work. The quartet pays homage to the two composers Taneyev admired above all others—Mozart and Tchaikovsky. Echoes of Mozartean style and harmonic language join forces with Tchaikovskian treatment of variations form, but the return of the thematic material of the first movement at the end of the quartet is a hallmark of Taneyev's mature style, heard in many of his symphonic and chamber music compositions.

Anastasia Belina, 2010

 

For parts please contact Musikproduktion Höflich (www.musikmph.de), Munich. reprint of a copy from the collection Andre Golovin, Moscow.