Ferruccio Busoni
(geb. Empoli, 1. April 1866 - gest. Berlin, 27. Juli 1924)

Divertimento für Flöte und kleines Orchester
op. 52 (1920)

 

Vorwort
Gegen Ende seines Lebens, als er noch an seinem asketisch-strengen, jedoch schließlich unvollendet gebliebenen Hauptwerk Doktor Faustus arbeitete, nahm sich Ferruccio Busoni die Zeit, um zwei Instrumentalwerke zu komponieren, die zu den liebenswürdigsten Schöpfungen aus seiner Feder gehören: das Klarinettenconcertino op. 48 (1918) und das Divertimento op. 52 für Flöte und kleines Orchester (1920). Tatsächlich wurden diese beiden Werke als eine Art musikalisches Diptychon konzipiert; in einem Brief an seinen Freund Albert Biolley sprach er 1920 vom Divertimento: „C’est un ‚pendant‘ au Concertino de Clarinette; plus fantastique peut-être, peut-être aussi plu viril. Et une idée plus court (probablement par ‚l’idée‘ qui m’a manquée)“. Wie das Wort „viril“ bereits andeutet, handelt es sich beim Diverti-mento wohl um den männlichen Teil einer männlich-weiblichen musikalischen Werkpaarung – eine Verbindung, die in anderen Werkpaaren aus diesem Zeitraum ebenfalls vorkommt, wie etwa in den Sarabande und Cortège von 1918/19, die später in die Oper Doktor Faustus Eingang fanden.

Das Divertimento entstand rasch (laut Busoni “so leicht, als wenn ich einen Brief schreiben würde”) im Mai 1920, wobei das Datum der Fertigstellung im Manus-kript als 24. Mai 1920 angegeben wird. Das Werk, das dem großen französischen Flötisten und Dirigenten Philippe Gaudet (1879-1941) gewidmet ist, erklang zum erstenmal am 21. August 1920 bei einem Probespiel mit dem Tonhallen-Orchester Zürich unter der Leitung von Volkmar Andreae – eine Abschiedsgeste des Orchesters an den großen Komponisten, der die letzten Jahre in Zürich verbracht hatte, bald jedoch nach Berlin zurückkehren mußte, um sein letztes Amt an der Akademie der Künste wahrzunehmen. Die öffentliche Uraufführung fand hingegen am 13. Januar 1921 während eines Busoni gewidmeten Konzerts in der Berliner Philharmonie statt, bei dem der holländische Flötist Henrik de Vries den Solopart spielte und Busoni selber die Berliner Philharmoniker leitete. Auch wenn die neuere Musik Busonis dabei etwas unfreundlich aufgenommen wurde (man erwartete etwas Radikalieres vom Autor des Entwurfs einer neuen Ästhetik der Musik!), wurde das Divertimento doch als Erfolg empfunden und erschien 1922 beim Leipziger Verlag Breitkopf & Härtel als Partitur in Druck (Breitkopf & Härtel Partitur-Bibliothek Nr. 2607). Ein Jahr darauf veröffentlichte der gleiche Verlag eine Bearbeitung für Klavier und Flöte aus der Feder des wohl herausragendsten Busoni-Schülers (nach Edgard Varèse): Kurt Weill.

Das Divertimento erhielt eine durchsichtige Besetzung für jeweils zwei Oboen, Klarinetten, Fagotte, Trompeten und Hörner sowie Pauken, Schlagzeug und Streicher. Dieser durchsichtigen Orchestrierung entspricht die an Mozart erinnernde Leichtigkeit der Satzweise: Die Melodik besteht auffallend aus Dreiklangsmotiven, obwohl der Bezug zur Tonika vergnügt ziellos hin und her zu wandern scheint. Besonders knapp und quicklebendig ist der formale Aufbau: Die Einfälle werden dargestellt, entwickelt und wieder fallenlassen mit einer Schnelligkeit, die der Verständlichkeit der Musik ohne die etwas konventionelle formale Anlage wohl im Wege stünde. Das Werk fängt mit einem ausgiebigen Ritornell an, das die Doppelexposition der klassischen Form des Instrumentalkonzerts unmißverständlich ankündigt. Zu den vielen glücklichen Wendungen des Orchester-satzes gehört zweifellos der erste Einsatz des Flötensolos, dem ein amüsantes kleines Duett für gedämpfte und ungedämpfte Trompete vorausgeht. Kurz nach Anfang des Durchführungsteils wird der musikalische Verlauf durch einen eingeschobenen, aria-ähnlichen langsamen Abschnitt unterbrochen, der als eine Art langsamer Satz dient. Tatsächlich handelt es sich bei diesem Abschnitt um eine getreue Orchesterbearbeitung der früheren Elegie für Klarinette und Klavier, die kurz davor – zwischen September 1919 und Januar 1920 – für die Soloklarinettestin des Tonhallen-Orchesters und Widmungsträgerin der Klarinet-tenconcertino Edmonda Allegra komponiert wurde. Die Reprise fängt mit einer unveränderten Wiederholung der Exposition an, schlägt jedoch nach acht Takten ganz andere Richtungen ein und nimmt mit schnellen, Tarantella ähnlichen Triolen fast die Gestalt eines Scherzos an. Mit reichlich filigranem Passagenwerk des Solisten sowie mit regelrechten Lachsalven des Orchesters kommt dieses gutgelaunte Stück zu einem befriedigenden Schluß.

In seiner späteren Rezeption erging es dem Divertimento nicht ganz so erfolgreich wie seinem Schwesterwerk, dem Klarinettenconcertino. Nichtsdestotrotz gibt es wenigstens eine beachtliche Platteneinspielung durch den Flötisten Jean-Claude Gérard mit dem Berliner Rundfunksinfonieorchester unter der Leitung von Gerd Albrecht. Der Klavierbearbeitung Kurt Weills ist hingegen ein weitaus größerer Erfolg beschert: 1950 wurde die Druckausgabe neu aufgelegt, und in den 1960er Jahren nahm sich der herausragende italienische Interpret der zeitgenössischen Flötenmusik Severino Gazzelloni (1919-1992) des Divertimento an, wodurch es bald in das Kammermusikrepertoire als selbständiges Werk Eingang fand. Einige bemerkenswerte Platteneinspielungen der Klavierfassung deuten auch auf eine Zukunft für die Busonische Originalfassung hin, die in der vorliegenden Ausgabe zum erstenmal im Studienformat erscheint.

Bradford Robinson, 2010

Aufführungsmaterial ist von Breitkopf und Härtel, Wiesbaden zu beziehen.

Ferruccio Busoni
(b. Empoli, 1 April 1866 – d. Berlin, 27 July 1924)

Divertimento for Flute and Small Orchestra
op. 52 (1920)

Preface

Toward the end of his life, while working on his austere and ultimately unfinished magnum opus Doktor Faustus, Ferruc-cio Busoni took the time to write two instrumental works that belong to the most endearing creations from his pen: the Clarinet Concertino, op. 48 (1918), and the Divertimento for flute and small orchestra, op. 52 (1920). In fact, he conceived these two works as a sort of musical diptych; writing to his friend Albert Biolley in 1920, he confided that the Divertimento was “a ‘pendant’ to the concertino for clarinet, more fantastic perhaps, but perhaps more virile as well.” As the word “virile” suggests, the Divertimento represented the male half of this musical pairing, a combination equally evident in his other paired works from this period, such as the Sarabande and Cortège of 1918‑19, which later found their way into Doktor Faustus.

The Divertimento was written quickly in May 1920 (Busoni claimed that it came to him “as easily as writing a letter”), with the date of completion given as 24 May in the manuscript. It is dedicated to the great French flutist and conductor Philippe Gaudet (1879-1941) and was first heard at a trial run-through given by the Zurich Tonhalle Orchestra under Volkmar Andreae on 21 August 1920 – the orchestra’s farewell gesture to the great composer, who had lived there for years but was about to return to Berlin and his final appointment at the Academy of Arts. The first public performance took place on 13 January 1921 during an all-Busoni concert in the Berlin Philharmonie, with the Dutch flutist Henrik de Vries playing the solo part and Busoni conducting the Berlin Philharmonic. Although the reception of Busoni’s recent music was altogether somewhat muted (something far more radical was expected of the author of the Outline of a New Aesthetic of Music), the Divertimento was pronounced successful, and in 1922 it was published in full score by Breitkopf & Härtel as Vol. 2607 in its Partitur Biblio-thek series. A year later the same publishers issued an arrangement for piano and flute prepared in 1922 by Busoni’s most illustrious pupil (after Edgard Varèse), Kurt Weill.

The Divertimento is scored very lightly for double oboes, clarinets and bassoons, double trumpets and horns, percussion, and strings. The lightness of the scoring is matched by the Mozartian lightness of the music itself: the melodic writing is distinctively triadic, although the tonality seems to wander agreeably with no goal in particular. The form is tightly compressed and mercurial; ideas are stated, developed, and abandoned with a rapidity that would make the music difficult to follow were it not for the conventional formal design. The piece opens with a long orchestral ritornello that clearly announces the double exposition of classical concerto form. Of the many felicities in the scoring, perhaps none is so enchanting as the first entrance of the soloist, preceded by an amusing duet for muted and unmuted trumpet. As the music enters the development section, it breaks off to accommodate an interpolated slow movement laid out as an aria for solo flute. In fact, this movement is a literal arrangement of an earlier Elegy for clarinet and piano (September 1919 – January 1920) that Busoni had just written for the Tonhalle Orchestra’s principal clarinetist and the dedicatee of the Clarinet Concertino, Edmonda Allegra. The recapitulation begins with a straightforward eight-bar repeat of the exposition only to veer off in entirely different directions, adopting a tarantella rhythm that places it in the near proximity of a scherzo. The lighthearted piece comes to an end with much delicate passage-work from the soloist and peals of subdued laughter from the orchestra.

In its subsequent history the Divertimento has not fared as well as its companion, the Concertino. Nonetheless, it is available in a stolid recording by Jean-Claude Gérard (flute) and the Berlin Radio Symphony Orchestra, conducted by Gerd Albrecht. The piano arrangement by Kurt Weill has, however, met with greater success: the score was reissued in 1950, and it was taken up in the 1960s by the superb contemporary flutist Severino Gazzelloni (1919-1992), since which time it has entered the chamber music repertoire as a concert piece in its own right. The several outstanding recordings of the piano version bode well for the future of Busoni’s original, which appears here for the first time in miniature score.

Bradford Robinson, 2010

 

For performance material please contact the publisher Breitkopf und Härtel, Wiesbaden.