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Emmanuel Chabrier - Briséïs ou Les amants de Corinthe
(geb. Ambert, Puy-de-Dôme, 18. Januar 1841 - gest. Paris, 13. September 1894)
Vorwort
Dem musikbegeisterten Publikum ist Chabrier wahrscheinlich am besten durch seine temperamentvollen Orchesterstücke España und Joyeuse Marche in Erinnerung geblieben. Er selbst jedoch sah seine Hauptleistung auf dem Gebiet der Oper, von denen er fünf schrieb, darunter die unvollendete Briséïs. Bevor er sich ganz der Musik zuwandte, arbeitete er viele Jahre lang als Beamter und unternahm mehrere Anläufe, eine Oper zu komponieren, bevor er schliesslich seine erste zu ende brachte. Seine vollendeten Opern begann er mit zwei Operetten, L‘Étoile (1877) und Une Education Manquée (1879). Danach komponierte er die Tragödie Gwendoline (1886) und die brillante komische Oper Le Roi malgré lui (1887). In beiden Werken zeigt sich der Einfluss Wagners, der zu dieser Zeit in Frankreich sehr stark war.
Die Geschichte um Briséïs geht an mehreren Stellen auf Goethes Ballade Die Braut von Korinth zurück. Goethe selbst nannte den Text sein „Vampirgedicht“, in dem sich die Braut als Vampirin entpuppt, die von einem jungen Mann geliebt wird, der sich ihr im Tod anschließt. Dieses Gedicht wurde in Frankreich mehrfach adaptiert, insbesondere in einem Stück von Ephraim Mikhaël und Bernard Lazare, der dramatischen Legende La Fiancée de Corinthe von 1888. Dieses Stück war Catulle Mendès gewidmet, einem vielseitigen Schriftsteller, der das Libretto von Gwendoline geschrieben hatte und später auch für mehrere andere Komponisten Texte verfasste. Möglicherweise war es auch Mendès, der Chabrier die Idee zu dieser Oper nahe brachte. Dieser sah in dem Werk den Höhepunkt seiner Karriere, hielt es für das letzte Wort in Sachen „Moderne“ und für weniger wagnerianisch als Gwendoline. Dennoch verwendet er weiterhin Leitmotive, und auch der Besuch des Parsifal in Bayreuth 1889 weckte seine Bewunderung. Im August 1888 begann Chabrier mit der Arbeit an Briséïs und ging davon aus, dass er sechzehn Monate für die Fertigstellung benötigen würde. Sechs Jahre später starb er, und nur der erste Akt war fertiggestellt. Probleme mit dem Libretto, Geldsorgen und gesundheitliche Probleme waren die Gründe dafür. Chabrier selbst bat Vincent d‘Indy, das Werk zu vollenden, aber d‘Indy, der dachte, es handele sich lediglich um eine Frage der Orchestrierung, entdeckte, dass Chabrier nur einige Skizzen für die beiden verbleibenden Akte hinterlassen hatte, und dass er das Libretto von Mendès auf keinen Fall akzeptieren konnte. Chabriers Erben nahmen daraufhin zu mehreren Komponisten Kontakt auf, darunter Debussy, Ravel und Enescu, um das Werk fertig zu stellen. Alle jedoch lehnten ab. Der erste Akt aber war voll funktionsfähig und wurde am 31. Januar 1897 unter der Leitung von Charles Lamoureux in einer Konzertaufführung in Paris uraufgeführt. Die erste szenische Aufführung fand am 14. Januar 1899 unter der Leitung von Richard Strauss in Berlin statt.1
Als die Erzählung über Briséïs Chabrier erreichte, war das Vampirelement bereits aus dem öffentlichen Interesse verschwunden; stattdessen war der Mythos vom gemeinsamen Tod der Liebenden durch Tristan und Isolde besetzt. Briséïs spielt im frühen Römischen Reich, zu einer Zeit, als sich das Christentum ausbreitete, die olympischen Götter aber noch verehrt wurden. Der Schauplatz ist ein Garten am Meer. Briséïs, eine junge Heidin, und Hylas sind ineinander verliebt. (Obwohl der Name Briséïs aus der Ilias stammt, gibt es keine Verbindung zu diesem Werk. Auch Hylas ist hier nicht die Person aus der klassischen Mythologie.) Beide haben sich verlobt. Ihre Mutter, Thanasto, ist zum Christentum konvertiert.
In der ersten Szene hören wir den Gesang der Matrosen des Schiffes, das Hylas zu Briséïs bringt, und er singt von seiner Liebe zu ihr.
In der zweiten Szene erleben wir Briséïs und Hylas zusammen. Sie besingen ihre gegenseitige Liebe, aber Hylas sagt, er müsse nach Syrien gehen. Sie hat Vorahnungen und fragt ihn, ob er ihr notfalls in den Tod folgen würde. Er stimmt zu, da ihre Liebe zueinander unsterblich ist. Wieder erklingt das Lied der Matrosen, als er abreist.
In der dritten Szene erscheint Thanasto in Begleitung ihres Beraters Stratokles. Sie ist todkrank und leidet unter schrecklichen Schmerzen. Sie betet zu Jesus und erklärt, dass sie die christliche Lehre zu den Heiden bringen will. Vor allem wünscht sie, dass Briséïs sich taufen lasse. Briséïs sagt, sie würde ihr Leben geben, wenn sie damit ihre Mutter retten könnte. Thanasto greift diese Worte auf.
In der vierten Szene beten die Diener zu Apollo für Thanasto. Stratokles und Briséïs schließen sich ihnen an. Dann erscheint der Katechet. Er ist ein Christ und betet zu Christus. Stratokles erklärt den Dienern, dass er ein Priester des neuen Gottes sei. Doch Stratokles betet zu den Olympiern und erklärt, dass Christus sich über Schmerzen freue, das Leben verachte und glückliche Ehen, Jugend, Hoffnung und Schönheit hasse. Der Katechet ist anderer Meinung. Briséïs fragt ihn, ob er ihre Mutter retten kann. Der Katechet antwortet, dass er sie retten werde, wenn sie sich taufen lässt und sich Gott als Opfer anbietet. (Dies ist eine Variante des Themas der Alcestis von Euripides, in der sich Alcestis opfert, um ihren Mann zu retten, aber in jenem Stück tut sie es freiwillig und wird am Ende aus der Unterwelt gerettet.) Briséïs lehnt ab, aber Thanasto sagt, sie habe geschworen, es zu tun. Briséïs beklagt ihre schwindenden Hoffnungen und willigt ein, zu gehorchen. Thanasto sagt, sie liefere sie ohne Bedauern aus.
Das ist das Ende des ersten Aktes und der Partitur, wie sie uns heute vorliegt. In den zwei verbleibenden, aber nur skizzierten Akten legt Briséïs das Gelübde zur Rettung ihrer Mutter ab und begeht dann Selbstmord, wobei sie Hylas auffordert, ihr beizustehen. Er tut es.
Diese Geschichte ist wenig plausibel, und die Darstellung des Christentums ist eine Karikatur. Man kann verstehen, warum d‘Indy damit nicht arbeiten wollte. Aber insgesamt ist sie wohl nicht absurder als manche andere Opernlibretti. Unbestreitbar ist, dass die Musik reizvoll ist, voller frischer Erfindungen, die zwar Leitmotive verwenden, aber schnell und leichter in der Struktur als Wagner sind. Sie verdient es, gehört zu werden.
Stephen Barber, 2023
1 Einige dieser Details verdanke ich dem Text im Begleitheft von Gerald Larner zu der 1995 erschienenen Aufnahme von Briseis unter Jean Yves Ossonce auf Hyperion CDA66803.
Für Aufführungsmaterial wenden Sie sich bitte an Ricordi, München. Nachdruck einer Kopie aus der Musikbibliothek des Conservatoire de musique de Genève, Genève.
Emmanuel Chabrier - Briséïs ou Les amants de Corinthe
(b. Ambert, Puy-de-Dôme, 18 January 1841 — d. Paris, 13 September 1894)
Preface
Among the music-loving public Chabrier is probably best remembered for his vivacious orchestral pieces España and Joyeuse Marche. However, he would have seen his principal achievement as being in the field of opera, of which he wrote five, including the unfinished Briséïs. He spent many years as a civil servant before turning full-time to music, and made several attempts at operas before completing any. His completed operas began with two operettas, L’Étoile (1877) and Une Education Manquée (1879). He then went on to compose the tragedy Gwendoline (1886) and the brilliant comic opera Le Roi malgré lui (1887). Both of these show the influence of Wagner, which was considerable in France at the time.
The story of Briséïs derives, at several removes, from a ballad by Goethe, Die Braut von Korinth. Goethe called this his vampire poem; in it the bride turns out to be a vampire who is loved by a young man who joins her in death. This was adapted several times in France, notably in a play by Ephraim Mikhaël and Bernard Lazare, the dramatic legend La Fiancée de Corinthe of 1888. This play was dedicated to Catulle Mendès, a versatile writer who had written the libretto of Gwendoline, and was to go on to write libretti for several other composers. It may well have been Mendès who suggested the idea of the opera to Chabrier. He saw this as the climax of his career, the last word in modernism, and less Wagnerian than Gwendoline. However, he continued to use leitmotifs, and seeing Parsifal at Bayreuth in 1889 brought back his admiration. He started work on Briséïs in August 1888 and thought it would take him sixteen months to complete. Six years later he died, having finished only the first act. Problems with the libretto, money worries and ill-health were all factors in this. Chabrier himself asked Vincent d’Indy to complete it, but d’Indy, who had thought this would be simply a matter of orchestration, discovered that Chabrier had only left a few sketches for the remaining two acts, and that, in any case, he could not accept Mendès’ libretto. Chabrier’s heirs then asked several other composers, including Debussy, Ravel and Enescu, to complete the work, but all refused. However, the first act was perfectly viable and received its premiere under Charles Lamoureux at a concert performance in Paris on 31 January 1897. The first staged performance was conducted by Richard Strauss in Berlin on 14 January 1899.1
By the time the story reached Chabrier, the vampire element has disappeared and the joint death of the lovers has been influenced by Tristan und Isolde. The work is set in the early Roman empire, at a time when Christianity was spreading but the Olympian gods were still venerated. The setting is a garden by the sea. Briséïs is a young woman, a pagan, who is in love with Hylas and he with her. (Although the name Briséïs comes from the Iliad, there is no connection with that work. Nor is Hylas here that of classical mythology.) They are betrothed. Her mother, Thanasto, however, is a Christian convert.
In the first scene we hear the song of sailors from the ship bringing Hylas to Briséïs and he sings of his love for her.
In the second scene Briséïs and Hylas are together. They sing of their mutual love, but Hylas says he has to go trading to Syria. She has premonitions and asks if he would follow her into death if necessary. He agrees as they have an immortal love. We hear the sailors again as he departs.
In the third scene Thanasto appears, with her adviser Stratokles. She is mortally ill and in dreadful pain. She prays to Jesus and declares that she wants to take Christian teaching to pagans. In particular, she wants Briséïs to be baptised. Briséïs says she would give her life if it would save her mother. Thanasto seizes on these words.
In the fourth scene the servants pray to Apollo for Thanasto. Stratokles and Briséïs join them. Then the Catechist appears. He is a Christian and prays to Christ. Stratokles explains to the servants that he is a priest of the new God. Stratokles prays to the Olympians and declares that Christ is pleased by pain, does not love life, hates happy marriages, youth, hope and beauty. The Catechist disagrees. Briséïs asks if he will save her mother. The Catechist answers that he will if she gets baptised and offers herself to God as a victim. (This is a variant of the theme of the Alcestis of Euripides, in which Alcestis offers herself to save her husband, but in that play she does so willingly and in the end is rescued from the underworld.) Briséïs says no but Thanasto says she has sworn to do so. Briséïs laments her withered hopes and agrees to obey. Thanasto says she delivers her without regret.
That is the end of the first act and of the score as we have it. In the remaining two acts Briséïs makes the vows needed to save her mother and then commits suicide, calling on Hylas to join her. He does so.
This is not a plausible story and the account of Christianity it presents is a caricature. One can understand why d’Indy felt he could not work with it. However, it is arguably not more absurd than several other opera libretti. What is unarguable is that the music is delightful, full of fresh invention, using leitmotifs indeed but fast-moving and lighter in texture than Wagner. It deserves to be heard.
Stephen Barber, 2023
1 I am indebted for some of these details to the sleevenote by Gerald Larner to the 1995 recording of Briseis under Jean Yves Ossonce on Hyperion CDA66803.
For performance material please contact Ricordi, Munich. Reprint of a copy from the music library of the Conservatoire de musique de Genève, Genéve.
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