Weltmusiker zwischen Ost und West

Sendemanuskript für BR 4 (Redaktion: Alexandra-Maria Dielitz)

1

Symphonic Prayer op. 93: Beginn

BR-Symphonie-Orchester, Alexander Tscherepnin; München, 4. Januar 1974

BR-Aufnahme

CD, Track 2 (Dauer: freistehend 4’35, mit Ausblende 5’53’’

Ein Komponist, der aus der russischen Tradition kommend ein Leben lang die ganze Welt als Virtuose im Dienst seiner Musik durchreiste; der im Paris der zwanziger Jahre die Geschichte der anbrechenden Moderne mitschrieb; der die Folklore des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens in sein Schaffen einbezog; der sein eigenes melodisches und kontrapunktisches System kreierte, findet zur Synthese all der Einflüsse, die seinen unverwechselbaren Stil ausmachen: 1959 schrieb Alexander Tscherepnin sein ‚Symphonic Prayer’ op. 93, dessen Beginn wir in einem Mitschnitt vom 4. Januar 1974 hörten, gespielt vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Leitung des Komponisten.

Selten hinterlassen Komponisten so reichhaltige, systematische und objektiv reflektierte Selbstzeugnisse wie Alexander Tscherepnin, der Sohn Nikolai Tscherepnins, eines führenden Tonschöpfers der nationalrussischen Schule im Zarenreich, und Vater der Komponisten Ivan und Serge Tscherepnin. Der unstillbare Durst nach Neuem in einem Leben, das ganz und gar von Musik durchpulst ist, ist Signum der Tscherepnin-Familie. Alexander war ein Kosmopolit, ein wahrer ‚Mann von Welt’, und zugleich hat er sich nie von seinen russischen Wurzeln losgesagt. Die russische Revolution trieb ihn, wie viele andere auch, mit seiner Familie in die Emigration, und wie Sergej Rachmaninoff, Igor Strawinsky oder Nicolas Slonimsky blieb er im Westen und wurde dort schnell und nachhaltig zu einer prägenden Persönlichkeit im internationalen Musikleben.

Alexander Tscherepnin kam mit seinen Eltern, auf dem Legende gewordenen Weg via Georgien über das Schwarze Meer nach Konstantinopel, mittellos in Paris an, wo sie sich eine neue Existenz aufbauen mussten. So schüchtern der junge Tscherepnin war, so schnell fand er Anerkennung als ausgezeichneter Klaviervirtuose und brillanter Komponist. Er bewegte sich an der vordersten Front der neuen Entwicklungen.

Alexander Tscherepnin hinterließ außer seinem umfangreichen kompositorischen auch ein stattliches schriftstellerisches Vermächtnis – zu Musiktheorie und –geschichte sowie zu seiner Autobiographie. Sein ganzes Leben war von Musik durchtränkt, oder, wie er sagte, „Musik ist meine Religion“. 1964 schrieb Tscherepnin in einem Artikel, der ‚The World of Sound’ betitelt ist:

„Angeregt von den Wissenschaften, versucht die Musik unserer Zeit sich von den Konventionen des Ostens und des Westens zu befreien – womit sie sich tiefer in die Welt des reinen Klanges hineinbegibt, der Natur näherkommt, reicher an Ausdrucksmitteln und freier von den Begrenzungen der ‚musikalischen Konventionen’ wird.

Die Inkubationszeit einer Komposition ist ein Mysterium.

Von wo und auf welchem Wege gelangt die ursprüngliche Idee, die der Same einer Komposition wird, in das Bewusstsein des Komponisten?

Was mich betrifft: wenn ich mit der Arbeit an einem neuen Werk beginne, höre ich es nicht. Ich fühle es. Ich erfahre den Drang, mich ‚einzuschwingen’, ein Wandler der unhörbaren Vibrationen in hörbare Klänge zu werden.

Was folgt, ist eine teilweise Materialisation in Formen von Klängen, die auch in diesem Stadium noch frei von den Konventionen von Tonhöhe und Metrum sind.

Eine weitere Anstrengung ist vonnöten, um die Idee in das zu wandeln, was wir ‚Musik’ nennen, und mit der tatsächlichen Arbeit an einer musikalischen ‚Komposition’ zu beginnen.

Seit meiner frühen Jugend träumte ich von der Befreiung von Konventionen. Aus diesem Impuls heraus konzipierte ich den zweiten Satz meiner Ersten Symphonie von 1927 für Schlaginstrumente ohne bestimmte Tonhöhe allein, wodurch ich die Befreiung von der fixierten Tonhöhe gewann.“

Es folgt nun das Schlagzeug-Scherzo aus Alexander Tscherepnins Erster Symphonie op. 42, Tempo vivace, ein seinerzeit als revolutionär empfundenes Stück, das 1927 bei der Uraufführung im dadaistisch skandalfreudigen Paris Begeisterung und Entsetzen auslöste. Dabei sei noch auf Tscherepnins untrüglichen Formsinn hingewiesen – ein Komponist, der sich auch bei der Verwendung völlig unerkundeter Mittel der Wirkung seiner Musik vollkommen bewusst ist, die Spannung aufbaut, hält und löst, und keinen Takt zu viel schreibt. In der Kürze liegt die Würze, gerade bei Tscherepnin. Sie hören eine Aufnahme vom 3. Januar 1974 in München. Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks wird geleitet vom Komponisten.

2

Symphonie op. 42 (1927), 2.Satz: Vivace
BR-Symphonieorchester, Alexander Tscherepnin; München, 3. Januar 1974

BR-Band

CD, Track 1, 6’33’’ – 9’17’’; Dauer: 2’42’’

Zur Zeit der Komposition seiner Ersten Symphonie hatte Tscherepnin die von Jugend an verfolgten strukturellen Grundlagen seiner Kompositionsmethode zu vollkommener Entfaltung gebracht. Charakteristisch sind die neunstufige Tonleiter, bestehend aus dreimal zwei aufeinanderfolgenden Halbtonschritten, jeweils durchbrochen von einem Ganztonabstand, und eine spezifische Form des Kontrapunkts, die Tscherepnin als ‚Intrapunkt’ bezeichnete, was bedeutet, dass eben nicht ‚Note gegen Note’ komponiert wird, sondern ‚Note gegen Nicht-Note’, also die eine Stimme stets in die freigelassenen Zwischenräume der anderen Stimme eintritt. Im Prinzip ist das keine Novität, sondern Kennzeichen der linearen Spannung aller wahren Kontrapuntiker von den alten Niederländern über Johann Sebastian Bach und Ludwig van Beethoven bis hin zu Anton Bruckner, Béla Bartók oder Paul Hindemith. Nur ist es so, dass Tscherepnin daraus ein strenges, hermetisches System gemacht, das bis zu vier divergierende Stimmpaare übereinanderlegt. Im Falle des folgenden Beispiels, des Andante aus seiner ersten Symphonie, lässt sich diese Technik sehr anschaulich verfolgen: ein Stimmpaar macht den Anfang, zeitweise treten bis zu drei Paare gegeneinander an.

3

Symphonie op. 42 (1927); 3. Satz: Andante (2. Hälfte)
BR-Symphonieorchester, Alexander Tscherepnin; München, 3. Januar 1974

BR-Band

CD, Track 1, 13’34’’ – 18’30’’; Dauer: 4’56’’

Alexander Tscherepnin dirigierte das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks im Andante aus seiner 1927 komponierten Ersten Symphonie in einer Aufnahme vom 3. Januar 1974. Mit dieser Symphonie und dem darauffolgenden Klavierquintett erreichte Tscherepnin die höchste Verdichtung und Komplexität seines harmonisch-kontrapunktischen Systems. Da er jedoch primär Musiker und nicht Theoretiker war und als schöpferischer Mensch eine Weiterentwicklung suchte, stand er damit Ende der zwanziger Jahre, als knapp Dreißigjähriger, an einem Wendepunkt seines Schaffens. Die neuen Impulse fand er in der Folklore und verschmolz sie später zu einer Synthese von Traditionen des eurasischen Raums. Zunächst war dies die Folklore vertrauter Gegenden wie Georgien und Russland. Dann kam der vordere Orient hinzu. Zwischen 1934 und 1937 verbrachte Tscherepnin längere Zeit in China und Japan, wo er konzertierte, lehrte und seine zweite Frau, die chinesische Pianistin Lee Hsien-Ming, kennenlernte. Er wirkte als Mentor und Förderer junger japanischer und chinesischer Komponisten. Zugleich sog er all die Einflüsse der dortigen musikalischen Kultur auf, machte die Modi und den stilisierten Ausdruck zu Mitteln seines eigenen kompositorischen Arsenals. Wie tief Tscherepnin in den spezifischen Tonfall beispielsweise der chinesischen Musik eingedrungen ist, davon mögen zwei Sätze aus seiner 1946 entstandenen Suite für Cello solo zeugen. Auch sind diese Miniaturen wiederum Beleg von Tscherepnins lakonischer Ökonomie, die doch nie trocken, sondern bei aller Präzision improvisatorisch frei erfunden wirkt.

4

Suite für Cello solo op. 76 (1946): 2. & 3. Satz

Pieter Wispelwey (Vc); Deventer, Dezember 2008

Channel Classics CCS SA 27909 (LC 4481)

Tracks 5 & 6; Dauer: 3’30’’

Pieter Wispelwey spielte zwei Sätze aus der von der chinesischen Pentatonik inspirierten Suite für Cello solo von Alexander Tscherepnin. Tscherepnin hat das Cello ausgiebig bedacht, und der große ungarische Cellist János Starker, der wie Yehudi Menuhin seine Musik liebte, bemerkte in einer Widmung zu seinem 75. Geburtstag: „Er gehört zu der Handvoll wahrer Giganten der Musik des zwanzigsten Jahrhunderts.“ Bei der gleichen Gelegenheit schrieb Rafael Kubelik an Tscherepnin: „Ich wünschte mir, dass ich zu Deinem 75. Geburtstag eine Kantate schreiben könnte, in der ich Dein großes, warmes Herz, Deine noble Persönlichkeit und Deine Liebe zur Musik, zu den Menschen, der Natur und allem Schönen vertonen könnte.“ Wilhelm Kempff pries Tscherepnin als den „Mittler zwischen Ost und West, der dennoch seine eigene Handschrift bewahrt hat“. Und Boris Blacher, der 1903 in China geborene Komponist der Paganini-Variationen, bekannte: „Du warst einer der ersten, der die Brücke zwischen dem Fernen Osten und der Westlichen Welt künstlerisch erfolgreich geschlagen hat.“ Damals, von den fünfziger bis in die siebziger Jahre, wurde Alexander Tscherepnin überall an prominenter Stelle aufgeführt. Dirigenten wie Stokowski, Koussevitzky, Mitropoulos, Monteux, Charles Münch, Fritz Reiner, Schmidt-Isserstedt oder Kubelik widmeten sich seiner Musik. Tscherepnin konzertierte und dirigierte regelmäßig in Deutschland und machte Aufnahmen für verschiedene Rundfunkanstalten. Besonders häufiger Gast war er in der Ära Kubelik beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, und mit Kubelik zusammen hat er 1968 zwei seiner Klavierkonzerte für die Deutsche Grammophon eingespielt.

Alexander, geboren am 20. Januar 1899 in St. Petersburg, ist aus heutiger Sicht die zentrale Persönlichkeit der Musikerfamilie Tscherepnin. Sein Vater Nikolai Tscherepnin, Schüler Rimsky-Korsakovs und exakter Zeitgenosse Rachmaninoffs, war einer der feinsten Komponisten der auf die revolutionären Impulse Mussorgskys und Alexander Borodins zurückgehenden nationalrussischen Schule, und ein vortrefflicher Dirigent. Er starb verarmt 1945 kurz nach Kriegsende in Paris. Zusammen mit seiner Frau Ming hatte Alexander Tscherepnin zwei Söhne, die auch Komponisten wurden und experimentelle Saiten anschlugen.

Alexander Tscherepnin führte, bei allen Schweirigkeiten, mit denen seine ganze Generation konfrontiert war, ein glückliches Leben. Er war ein wahrer Weltbürger, beherrschte viele Sprachen fließend und quasi perfekt, und bewegte sich mit Charisma, Charme und Würde auf den Konzertpodien und in den Auditorien der ganzen Welt. Er wuchs im letzten Stadium des niedergehenden Zarenreichs auf, erlebte als Jugendlicher den Ersten Weltkrieg, als Achtzehnjähriger die russische Revolution, die Stationen der Emigration in Tiflis, wo sein Vater Direktor des Konservatoriums war, in Konstantinopel, und ließ sich dann in Paris nieder. 1949 wurden er und seine Frau an die De Paul University in Chicago berufen, und 1958 wurde er amerikanischer Staatsbürger. 1967 war es ihm vergönnt, nach einem halben Jahrhundert seine russische Heimat wieder besuchen zu können. Die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs wirkte sich unmittelbar auf sein Schaffen aus. Dazu äußerte er sich in seiner ‚Kurzen Autobiographie’ von 1964 folgendermaßen:

„Der Krieg kam, und was ich – wie die meisten Menschen – durchlebte, musste meine Kunst beeinflussen. Alles erschien so gering im Verhältnis zu der Tragödie und dem Leid, die der Krieg jedermann brachte. Es war nicht länger möglich, Kunst um der Kunst willen zu betrachten oder Zuflucht in der Folklore zu suchen. Das wichtigste Ziel des Komponisten schien nun, der Menschheit zu dienen, zu helfen, die Menschen durch Kunstwerke zu vereinen, und zu versuchen, erschütterten Seelen Verständnis, Schönheit und Ausgeglichenheit zu geben.

Die erste Komposition, die ich nach dem Krieg mit diesem Impuls schrieb, war meine Zweite Symphonie. Darin habe ich versucht, meine tiefen Gefühle der Liebe und Zusammengehörigkeit der Menschen zum Ausdruck zu bringen, eine Partitur zu schaffen, in welcher jede Note wahrhaft ‚komponiert’ ist, nicht fabriziert, durch Technik.“

Aus Alexander Tscherepnins Zweiter Symphonie op. 77, komponiert 1947-51 und uraufgeführt vom Chicago Symphony Orchestra unter Rafael Kubelik, erklingen nun der zweite und dritte Satz, Lento und Scherzo Allegro. Es spielt, im Rahmen der ersten Gesamteinspielung von Tscherepnins Symphonien und Klavierkonzerten beim schwedischen Label BIS, das Singapur Symphony Orchestra unter Lan Shui.

5

Symphonie op. 77 (1947-51): 2. Satz Lento & 3. Satz Allegro
Singapore Symphony Orchestra, Lan Shui; Singapore, Victoria Concert Hall, Januar 1999

BIS 1717/18 (LC 3240)

Tracks 9 & 10; Dauer: 9’25’’

Lan Shui dirigierte das Singapur Symphony Orchestra in den beiden Mittelsätzen aus Alexnder Tscherepnins 1951 vollendeter Zweiten Symphonie. Alleine der Glanz und Fantasiereichtum der Orchestration verdienen höchste Bewunderung, was natürlich überhaupt eine besondere Stärke russischer Komponisten ist. In diesem Werk kann man bereits die Synthese der verschiedenen Stilelemente spüren, die Tscherepnin in den folgenden Jahren zu immer größerer Eigentümlichkeit und Vollendung führte. So vereint er die Aspekte der französischen und russischen Schulen des zwanzigsten Jahrhunderts, und eine von Tschaikowsky inspirierte Entwicklung der symphonischen Dramaturgie geht Hand in Hand mit Anteilen, die gelegentlich an Prokofieff oder auch Hindemith erinnern mögen. Eine ähnliche Synthese ist übrigens auch beim späten, längst in seine russische Heimat zurückgekehrten Sergej Prokofieff zu beobachten. Nicolas Slonimsky, wie Tscherepnin in St. Petersburg geboren, kannte Tscherepnin, seine Musik und den ganzen Background wie kein zweiter, und sein Widmungsartikel an den Siebzigjährigen fasst das Wesentliche zusammen. Darin zitiert er kurz und bündig, in Übereinstimmung mit Tscherepnin, dem Meister lakonischer und symphonischer Formen, einen Katalog von zehn Stadien, durch die dieser im Laufe seines musikalischen Lebens ging:

Instinktive Periode
Hinterfragung: Wie mache ich es?
Klavierpraxis
Theoretisches Studium der Werke Beethovens
Entdeckung der neunstufigen Skala
Theorie des Intrapunkt
Flucht aus der Mausefalle der Kulturmusik in die Welt der natürlichen Kunst, also der Folklore
Reise in den Osten
Rückkehr in den Westen
Synthese
So einfach kann das sein, rein kartographisch betrachtet. Wir haben das Glück, dass Alexander Tscherepnin anlässlich der Feierlichkeiten zu seinem siebzigsten Geburtstag 1969 vom Westdeutschen Rundfunk gebeten wurde, ein Selbstzeugnis des Künstlers beizutragen. In einer einstündigen Sendung führte der Komponist die Hörer durch sein Leben und stellte seine Musik vor, und so wollen wir ihn nun auch hier authentisch zu Wort kommen lassen.

6

Tscherepnin-Selbstportrait 1969

WDR-Band

CD: 2’41 – 4’54 (Dauer: 2’13’’)

7

Tscherepnin-Selbstportrait: vorletzte Bagatelle

WDR-Band

CD: 7’42 – 8’57 (Dauer: 1’12’’)

Nachdem wir Alexander Tscherepnin als Pianisten mit zwei seiner Bagatellen gehört haben, erhalten wir vom Komponisten einen Schnellkurs in einigen der Basiselemente seiner musikalischen Sprache, zunächst zum melodisch-harmonischen System, dann zur Organisation der Mehrstimmigkeit.

8

Tscherepnin-Selbstportrait

WDR-Band

CD: 13’18 – 15’23 (Dauer: 2’05’’)

9

Tscherepnin-Selbstportrait

WDR-Band

CD: 16’09 – 16’50 (Dauer: 0’41’’)

Alexander Tscherepnin hat es wie nur wenige Komponisten verstanden, seine musikalische Sprache und Entwicklung für jedermann verständlich darzulegen. Dabei ist er frei von Dogmen geblieben, denn bei aller Disziplin und Sachlichkeit ging ihm die Lebendigkeit und Unmittelbarkeit der Musik über alles. Und er hat sich seinen Humor bewahrt, wie aus der folgenden Schilderung seines Kulturvagabunden-Lebens hervorgeht:

10

Tscherepnin-Selbstportrait

WDR-Band

CD: 22’00 – 22’43 (Dauer: 0’43’’)

Wer in den zwanziger Jahren Modernist gewesen war, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg entweder unweigerlich vergessen, oder er suchte mit den aktuellen Umwertungen mitzuhalten, oder er hatte im besten Falle das Glück, ein ‚Klassiker’ zu werden. Alexander Tscherepnin hatte, gerade in der langen reifen Phase seines Schaffens nach 1945, das Zeug zum Klassiker, doch war im Westen derlei auf Dauer nicht angesagt. Wie Hindemith, Ghedini, Peter Mennin oder Robert Simpson, also geistesverwandte symphonisch-konzertante Komponisten von Format, wurde er in der ganzen Breite seines Œuvres von den führenden Dirigenten der ersten drei Nachkriegsjahrzehnte gepflegt, doch nach seinem Tod am 29. September 1977 in Paris ist es immer stiller um ihn geworden. Dies ist natürlich auch Preis des Emigrantenschicksals, und wir können gewiss sein, dass er in der Sowjetunion neben Schostakowitsch, Prokofieff und Chatschaturian eine prächtige und nachhaltiger gefeierte Figur abgegeben hätte. Er zog es vor, in der größeren Freiheit des Westens zu leben. Zum Abschluss hören wir das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Rafael Kubelik im Kopfsatz von Alexander Tscherepnins Vierter Symphonie op. 91 von 1958-59, in einem Live-Mitschnitt vom 12. Januar 1965.

11

Symphonie op. 91 (1958-59): 1. Satz Moderato, Schluss
BR-SO, Rafael Kubelik; München, 12. Januar 1965

BR-Band

CD, Track 4 (Dauer: freistehend 5’11)

¢¢[¢[¢[¢[¢[¢[¢[¢[

Sendemanuskript für BR 4 (Redaktion: Alexandra-Maria Dielitz)

Produktion: 19.8.2009, BR

Erstsendung: 22. 8..2009, ‚Musik der Welt’

Sprecher: Detlef Kügow & der Autor

Christoph Schlüren 8/2009