Reger, Max

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Reger, Max

Gesang der Verklärten für gemischten Chor und großes Orchester, Op. 71 (Vocal Score)

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Reger, Max

Gesang der Verklärten (Song of the Transfigured) for choir & orchestra Op. 71 (Vocal Score)

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Gesang der Verklärten für gemischten Chor und großes Orchester (1903)
auf ein Gedicht von Carl Busse (1872–1918)

Einleitung

Max Reger war ein Komponist, der bei der Wahl der von ihm vertonten Texte keineswegs, wie lange behauptet wurde, sorglos oder geschmacklos vorging. Sein Konzept jedoch, einen Text zu vertonen, unterschied sich deutlich von dem zahlreicher anderer Komponisten. Ihm ging es nicht darum, große Weltliteratur zu vertonen – diese, so schien es ihm oft, benötige kein musikalisches Gewand. So wandte er sich vor allem Dichtern und Dichterinnen seiner Zeit zu – Poeten des Jugendstil, deren Lyrik heute für manchen zopfig, überladen oder kitschig wirken mag. Reger, ansonsten durchaus »Fortschrittsmann« in vielerlei Hinsicht, war in Sachen Textwahl durchaus ein Anhänger der so genannten
»Lebensreform«, der »naturnahen« Lyrik. Große Balladen finden sich unter seinen über dreihundert Liedern kaum, ebenso wenig Dichtungen Rilkes oder Georges. Gleichwohl wusste er dem Symbolismus Ibsens ebensoviel abzugewinnen wie dem »Sensitiven« Gabriele d’Annunizos. Ihn interessierte eine Lyrik, die »unendlich viel Ausblicke in bisher fast
„unentdeckte“ seelische Zustände und Conflicte eröffnet« (an Ella Kerndl, 1. Oktober 1900), die musikalisch umzusetzen er bestrebt war. So überrascht keineswegs die ausgiebig Mittel des Jugendstils nutzende harmonisch und melodisch reiche musikalische Palette Regers. Der Text des Gesangs der Verklärten, Reger aus der 1896 erstmals erschienenen Anthologie Neue Gedichte von Carl Busse (2. Auflage 1901) bekannt, war der erste von insgesamt vier Texten dieses Dichters, die er vertonte – bei den anderen drei handelt es sich um die Lieder Schlafliedchen op. 75 Nr. 14, Wenn die Linde blüht op. 76
Nr. 4 und Der Sausewind op. 104 Nr. 5.
Schon am 3. Mai 1902 hatte Reger den Busse-Text an Theodor Kroyer gesandt: »Anbei finden Sie den Text zu dem Chorwerk (5stimmig mit großem Orchester); nicht wahr, er ist sehr schön u. in der Stimmung ganz ausgezeichnet – mal was Neues? Wie gefällt er Ihnen? – NB. daß er gelegentlich etwas „rhythmenlos“ ist, schadet nichts – das gibt Gelegenheit zur
„Herausarbeitung“ von feinsten Symmetriedurchbrechungen.« Und am 22. März 1903 informierte er denselben: »Wenn Sie diesen Brief erhalten, bin ich schon mit dem beiliegenden Text „Gesang der Verklärten“ beschäftigt, welcher Text mir schon lange, lange im Kopfe spukt! Aber eine mörderliche Angst habe ich, ob es mir gelingt, dem Text das musikalische Gewand zu verleihen, das mir im Geiste als Ideal vorschwebt!«. Bald begann er mit der Ausarbeitung von Partitur und Klavierauszug und äußerte am 2. Mai seinen Verlegern Lauterbach und Kuhngegenüber, er »glaube, fest hoffen zu dürfen, Ihnen damit ein erstklassiges Werk liefern zu können!« Da jedoch zeitgleich auch weitere Kompositionen entstanden, darunter die Fünf leicht ausführbaren Präludien und Fugen op. 56 für Orgel sowie die berühmte „Schafe- Affe“-Violinsonate (C-Dur) op. 72, und sich Reger außerdem für Lauterbach & Kuhn mit Hugo Wolfs musikalischem Nachlass befasste, verzögerte sich die Fertigstellung. Erst am 10. Juli 1903 teilte er Kroyer mit: »Mein „Gesang der Verklärten“ ist nun endlich in großer Partitur (50 Seiten) u. Klavierauszug mit Text fertig«; den nun nicht mehr benötigten Entwurf schenkte er seiner Frau Elsa, der er die Komposition auch widmete. Die Verfeinerung der Partitur durch Aufführungsanweisungen und Dynamisierung schloss Reger am 20. August 1903 in den Sommerferien im Schneewinkl bei Berchtesgaden ab und reichte Partitur und Klavierauszug schließlich am 18. September 1903, zwei Tage nach Abgabe der Violinsonate, zum Druck ein mit den Worten: »Sie wissen, dass ich Ihnen nur solche Werke liefere, welche ich gegen jede, auch die schärfste Kritik sehr wohl zu vertreten im Stande bin; Ferner bitte ich Sie davon überzeugt zu sein, daß ich es ganz genau weiß, daß sozusagen keinem lebenden Komponisten so sehr „auf die Finger gesehen wird“ als gerade mir und ich in Folge dessen doppelt vorsichtig bin und nur Solches Ihnen sende, von dem ich weiß, daß man
„umsonst seine Zähne daran versuchen wird!“«. Als Honorar für Partitur und Klavierauszug zusammen verlangte er 1400
Mark. Dass er wenige Tage darauf auch noch die Variationen und Fuge fis-Moll op. 73 für Orgel einreichte, erschwerte noch die verlegerische Entscheidung. Nachdem Reger am 29. September 1903 Lauterbach & Kuhn ärgerlich darum gebeten hatten, falls »Ihnen u. den Herren Sachverständigen meine Opera 71, 72 u. 73 nicht convenieren sollten, […] mir die Manuscripte baldmöglichst zurücksenden zu wollen […] da ich gegen die Weisheit der Herren Sachverständigen nicht anzukämpfen im Stande bin – dazu bin ich zu ein schlechter Musiker!«, sandten Lauterbach & Kuhn, die für das anspruchsvolle Chorwerk nicht genügend Absatzchancen sahen, Reger wohl am 9. Oktober 1903 die beiden Manuskripte zurück; selbst Regers Freund Karl Straube, der im Mai 1903 der Komposition positiv gegenüber gestanden hatte, hatte als Gutachter vom Druck abgeraten. Schon am 12. Oktober bot Reger das Werk dem Verlag C. F. W. Siegel an und verwies darauf, »daß man in der Musikwelt allgemein ein großes Werk von mir wie mein Op 71 mit Spannung erwartet!«. Auch C. F. W. Siegel waren zögerlich bezüglich der Aufnahme ins Verlagsprogramm; erst am 29. November 1903 konnte Reger für die positive Entscheidung danken, musst sich allerdings angesichts des verlegerischen Risikos mit einem Honorar von
500 M bescheiden – weniger als er 1902 für die Zwölf Lieder op. 66 erhalten hatte und schlussendlich ebenso viel (oder wenig), wie er bei Lauterbach & Kuhn für die beiden anderen großen Kompositionen dieser Zeit erhielt, die Violinsonate op. 72 und die Orgel-Variationen op. 73.
Aufführungsrechtliche Fragen verzögerten den Druck, bis sie mit einer Zusatzvereinbarung vom 21. August 1904 geregelt waren. Am 10. Oktober 1904 bat Reger den Verlag, Partitur, Orchester- und Chorstimmen sowie den Klavierauszug von einem guten Korrektor gründlich durchsehen zu lassen, »ehe Sie es mir zur Schlußrevision senden!« Ob dies geschehen ist, ist unklar – schon vier Tage später lagen ihm die Korrekturfahnen vor. Da er »den halben Winter im Eisenbahnwaggon zu[…]bringen» musste, erfolgte die Übersendung des korrigierten Klavierauszugs und der Chorstimmen erst am 15. Mai 1905; die Übersendung der korrigierten Partitur folgte bis Mitte Juni. Am 17. Juli 1905 lag Reger schließlich der Erstdruck der Komposition vor. Nahezu zeitgleich erschien eine »musikalisch-ästhetische Analyse« der Komposition bei C. F. W. Siegel, um das Verständnis und die Verbreitung des Werkes zu fördern. Auf die Anfrage des Musikschriftstellers Eugen Segnitz (1862–1927), der diese Aufgabe übernommen hatte, nach entsprechenden Erläuterungen antwortete Reger am 15. September 1905:
»Sehr geehrter Herr!
Es thut mir sehr, sehr leid, Ihnen diesmal nicht dienen zu können! Ich hab’ das Werk geschrieben; mehr weiß ich nicht! Es ist mir unmöglich, da mehr sagen zu können; auch weiß ich nichts, was den Lesern interessant vorkommen könnte! – Die Leute mögen sich das Werk anhören – aber „versteckte“ oder „geleugnete“ Programme hab’ ich nicht, da ich „nur“ absoluter Musiker bin! Sie sehen also meine Verlegenheit! Ich kann und weiß nichts zu schreiben! – Verlangen Sie eine Fuge mit 20 Themen – ja, mit Vergnügen – aber unsereiner kann nicht über „eigenes Wachsthum“ philosophieren! Bitte, seien Sie nicht böse; „mein Fleisch ist willig“ – aber der Geist versagt da!
Mit besten Grüssen,
Ihr hochachtungsvollst ergebenster
Max Reger.

Bitte, nicht böse sein.«

Die »musikalisch-ästhetische Analyse« der Komposition erschien nicht nur 1905 als Einzelveröffentlichung im Verlag
C. F. W. Siegel, sondern auch in den Monaten Januar und Februar 1906 im verlagseigenen Musikalischen Wochenblatt.
Zu einer weiteren Zusammenarbeit Regers mit C. F. W. Siegel kam es, wohl nicht zuletzt der oben genannten Reibereien wegen, nicht mehr.
Die glanzvolle Uraufführung des komplexen, rund 18 Minuten dauernden Werkes, von dessen Aufführung bei der Tonkünstlerversammlung des Allgemeinen Deutschen Musik-Vereins in Essen Reger selbst abriet, weil es zu viele Proben erfordere (»ich müßte mindestens 12 Chor- u. Orchesterproben für dieses Werk allein haben! Dies ist aber einfach unmöglich – deshalb bin ich dagegen! Und NB. jede dieser Proben würde 2 Stunden beanspruchen!«), fand am 18. Januar 1906 im Aachener Kurhaus statt. Städtischer Gesangverein und städtisches Orchester boten unter der Leitung von Eberhard Schwickerath eine ausgezeichnete Leistung. In der Neuen Zeitschrift für Musik schrieb A. von der Schleinitz:
»Man kommt nicht weit damit, wenn man Regers noch tintennasses Opus 71 als das Eigenartigste und Merkwürdigste bezeichnet, was je in Tönen erklungen ist; es kann mit der unerschrockenen Anhäufung der gewaltigsten Klangmassen, mit seiner in schrankenloser Willkür modulierender Polyphonie, der eigentümlichen, alle landläufigen Zwischenglieder und Wendungen überspringenden Harmonik, mit seiner kühnen, von melodischem Fluss nur selten unterbrochenen Häufung klanglicher Hässlichkeit und durch die alles bisherige übersteigenden Schwierigkeiten für alle Ausübenden ebensogut der allerentfernteste Grenzpunkt musikalischen Ausdruckes überhaupt sein, wie es zuweilen als das mit den musikalischen Formen getriebene wahnwitzige Spiel eines die Technik seiner Kunst bis zur Genialität beherrschenden Meisters erscheint. Einer solchen radikalen musikalischen Revolution gegenüber konnte selbst das hiesige, vom Städt. Musikdirektor Prof. Schwickerath regerfreundlich herangebildete Publikum keine Stellung finden und auch für die unbedingtesten Anhänger Regers wird diese Uraufführung ein grosses Rätsel gewesen sein. Der restlosen Ausnutzung aller Kräfte eines solchen riesenhaften musikalischen Apparates gegenüber, wie ihn Reger für sein Werk verlangt, können jedenfalls unsere Gehörnerven nicht mehr standhalten; um dabei noch wahrhaften Genuss zu finden, sind wirklich Naturen erforderlich, die den Zustand höchster Anspannung ohne Erschöpfung von dem ersten bis zum letzten Ton ertragen können. […] Man kann diesem Werke nur staunende Bewunderung zollen, der Reiz individueller und kerniger Kraft, der Reger überhaupt auszeichnet, zieht auch hier an, die musikalische Intelligenz des Hörers wird ungeheuer angeregt, – aber dem Gefühl, dem Herzen hat dieses Werk nichts zu sagen im Gegensatz zu der Dichtung, deren Innigkeit die freundlichsten Stimmungen hervorbringt.« Und Joseph Liese ergänzte in der Zeitschrift Die Musik: »Die Art, wie sich Prof. Schwickerath dieser ungeheuren Aufgabe annahm, ist über alles Lob erhaben. Der Aufführung war ein enormer Erfolg beschieden. Das Orchester in Musikfeststärke konnte nicht den gewaltigen Chor übertönen, der unter zielbewusster Leitung Tonreinheit und Fülle zeigte.« Und im Aachener Anzeiger stand ergänzend zu lesen: »Der Applaus am Schlusse
galt jedenfalls mehr der tatsächlich ausgezeichneten Vorführung, wie dem Werke selbst… Die Vorbereitung des Konzertes muß sehr mühsam gewesen sein, im Publikum wurde das aber auch gewürdigt und anerkannt, wie dankbar man allen Beteiligten für die treffliche Vorführung so schwerer neuer Werke und die damit gebotene Möglichkeit sein muß, die heutige Entwicklung der Musik zu verfolgen. Der Beifall, der gespendet wurde, war ungewohnt reichlich und vor allem Herr Professor Schwickerath darf hierauf, wie überhaupt auf die in jeder Beziehung wohlgelungene Aufführung mit vollem Recht stolz sein.«
Doch folgten dieser Aufführung nur wenige weitere, etwa 1909 in Leipzig sowie 1923 in Kassel (beim Tonkünstlerfest des Allgemeinen Deutschen Musikvereins). Regers ehemaliger Schüler Joseph Haas sollte später an den Inhaber von C. F. W. Siegel erläuternd schreiben: »Der instrumentale Brokatmantel des Regerschen Werkes in der Urfassung umschloss so viele Schwierigkeiten, dass die Dirigenten sich scheuten das in Gesicht und Gestalt doch ganz regersche Werk aufzuführen.« Aus diesem Grund suchte 1932 Karl Hermann Pillney den komplexen, bei zu geringer Probenanzahl leicht undurchsichtig wirkenden Orchestersatz Regers aufzulichten (seine Bearbeitung erfordert nur jeweils doppeltes Holz, vier Hörner, zwei Trompeten, drei Posaunen, drei Pauken, große Trommel, Tamtam, Harfe und Streicher; auch in den erhaltenen Stimmen wurde kräftig ausgedünnt), doch war dem Werk auch in dieser Fassung kein nachhaltiger Erfolg beschieden. Im Gegenteil folgte der Weltersteinspielung des Gesang der Verklärten auf Schallplatte im November
1979 bis heute keine CD-Veröffentlichung. Völlig zu Unrecht. Zwar hat ehemaliger Schüler Karl Hasse den Chorsatz von der Schwierigkeit her dem gleichgestellt, »was Beethoven in der 9. Symphonie von den Solostimmen an der von jedem Solisten gefürchteten Stelle „wo dein sanfter Flügel weilt“ verlangt«, doch hat sich mit dem weiteren Verlauf der Musikgeschichte diese interpretatorische Komplizität etwas relativiert. Wie nahe sich etwa Reger und Arnold Schönberg gelegentlich musikalisch standen (man denke an Schönbergs Verklärte Nacht nach einem Gedicht Richard Dehmels, von dem auch Reger sechs Texte vertonte), erweist die sowohl historische als auch musikalische Nähe und Verwandtschaft von Schönbergs Gurre-Liedern und dem Gesang der Verklärten. Schönbergs Komposition, die teilweise schon 1900/1 vorlag, wurde zwar erst 1911 vollendet, doch ist (gerade in Bezug auf den dritten Teil des Werks) die musikalische Nähe zu Regers Werk frappant. Gerade im expressiv-klangfarbenreichen Chor- und Orchestersatz sowie der »aufführungspraktisch exorbitante[n] Modernität« (Hermann Danuser) begegnen sich beide Kompositionen auf Augenhöhe, und es wäre mehr als opportun, sie gemeinsam aufs Konzertprogramm zu setzen.
Dr. Jürgen Schaarwächter
Max-Reger-Institut, Dezember 2011

Das Stimmenmaterial ist über das Max-Reger-Institut, Karlsruhe zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars aus dem Max Reger Institut.

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