Krenek, Ernst

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Krenek, Ernst

Schwergewicht oder Die Ehre der Nation Op. 55

Art.-Nr.: 46 Kategorie:

32,00 

Ernst Krenek
(b. Vienna, August 23, 1900; d. Palm Springs, December 22, 1991)

Schwergewicht, oder Die Ehre der Nation op. 55 (1927)

Burleske Operette in einem Akt nach einem Libretto vom Komponisten

Vorwort
Während seiner langen, abwechslungsreichen und außerordentlich produktiven Karriere durchlief Ernst Krenek viele Kompositionsstile und ästhetische Haltungen – vom ungezügelten atonalen Expressionismus seiner Jugend bis zum energischen Eintritt der Aleatorik in der Spätzeit, wobei er sich nicht einmal davon abhalten ließ, sich an Tin Pan Alley-Songs zu versuchen. Mit ungewöhnlicher Leichtigkeit begabt, schuf er ein musikalisches Oeuvre, das allein dem Umfang nach keinen Vergleich mit den fruchtbarsten Komponisten des 20. Jahrhunderts – wie etwa Darius Milhaud oder Bohuslav Martinu – zu scheuen braucht, diese jedoch an Vielfalt und Vielfalt weit übertrifft. Seine Schriften über Musik und Literatur, aber auch über Psychologie und Soziologie, zeigen ihn als einen der scharfsinnigsten musikalischen Köpfe des 20. Jahrhunderts und führten zu literarischen Freundschaften mit so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Rilke, Adorno oder Thomas Mann. Schon vor dem Hochschulabschluß sicherten ihm seine I. und II. Symphonie (1921-22) sowie das I. Streichquartett (1921) schnell einen Platz an vorderster Front unter den deutschen Nachkriegskomponisten. Ausgestattet mit einem Exklusivvertrag mit der Wiener Universal Edition kehrte er umgehend dem akademischen Studium den Rücken und schlug die Laufbahn eines freischaffenden Komponisten ein, wobei er bald neben Hindemith und – etwas später – Kurt Weill zu den drei führenden deutschen Komponisten seiner Generation gehörte.

Kurz nach Fertigstellung seiner beispiellosen Erfolgsoper Jonny spielt auf (1926) nahm Krenek ein «Triptychon» von Operneinaktern in Angriff, die jeweils eine andere Stilrichtung sowie ein besonderes Merkmal seiner künstlerischen Persönlichkeit vermitteln sollten. Das Vorbild – ob bewußt oder nicht – war offensichtlich das berühmte Triptychon von Giacomo Puccini (Il Tabarro – Suor Angelica – Gianni Schicchi) aus dem Jahre 1918, denn Krenek hielt sich an eine ähnliche Reihenfolge von blutrünstigem Melodrama (Der Diktator), weltentrückter Romantik (Das geheime Königreich) und leichtfüßiger Komödie (Schwergewicht), wobei er wie in der Vergangenheit alle drei Libretti selbst verfaßte.

Die «burleske Operette» Schwergewicht, oder Die Ehre der Nation entstand als Trotzreaktion auf eine öffentliche Verlautbarung des deutschen Botschafters in den Vereinigten Staaten, die besagte, ein Kanalschwimmer oder irgendein anderer Sportheld würde mehr für die Ruhm Deutschlands leisten als alle deutschen Künstler und Gelehrten zusammen. Krenek beschloß sofort, eine Opernsatire über einen deutschen Meisterboxer zu schreiben, wobei er anscheinend den am Anfang seines Weltruhmes stehenden Max Schmeling im Auge hatte. Darüberhinaus prangerte der Komponist die Faszination der deutschen Intelligenz für das Boxen als Zuschauersport an. Diese Thematik sollte um die gleiche Zeit auch durch Kurt Weills und Bertolt Brechts Mahagonny-Songspiel (1927), das sich in einem Boxring spielt, und deren abendfüllender Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny (1927-30), die einen Boxwettkampf mit tödlichem Ende beinhaltet, in die Operngeschichte eingehen. Das Libretto – so der Komponist – hatte ein «groteskes, den frühen Filmpossen abgesehenes Blitztempo» und wurde darauf angelegt, dem muskulösen Titelhelden ein Maximum an seelischem und körperlichem Schaden zuzufügen, wie aus folgender, von Krenek 1928 verfaßter Zusammenfassung hervorgeht:

«Schwergewicht oder Die Ehre der Nation ist eine burleske Operette, wobei das Beiwort ‘burlesk’ auf die Zugehörigkeit der derbkomischen Vorgänge zur Unwahrscheinlichkeitsregion der Possenwelt, die Bezeichnung ‘Operette’ sowohl auf Volumen wie Charakter des Werkchens hinweisen soll. Der Meisterboxer Adam Ochsenschwanz wird, einem uralten Possenrezept zufolge, von seiner Frau mit einem gerissenen Tanzlehrer mit Erfolg betrogen. Eine Reihe von drastischen Verwicklungen, ältesten Verkleidungsmanövern nachgebildet, führt dazu, daß der renommistische Kraftbonze auf einem Trainierapparat sitzend, zu ewigem, hilflosem Treten in sinnloser Kraftvergeudung verurteilt ist, während der physisch weit unterlegene Filou die Frau entführt. Um den Kontrast zwischen äußerer Wertschätzung und innerem Wert des Kraftmeiers zu voller Anschauung zu bringen, erscheint ein Regierungsrat, um dem Helden den Auftrag zu überbringen, das Land bei der nächsten Olympiade zu vertreten. Vergebens bitte ihn Ochsenschwanz, den unerbittlichen Apparat abzustellen, damit er seiner Privatrache nachgehen kann. Keine Minute seines kostbaren Trainings dürfe verloren gehen, denn er sei die ‘Ehre der Nation’.»

Durch diese etwas dünne, eher an eine Kabaretteinlage erinnernde Handlung wird das neue Werk eindeutig unter die sogenannten «Sketchopern» eingereiht, die im Deutschland der späten zwanziger Jahre florierten und von denen Paul Hindemith (Hin und zurück, 1927) und Kurt Weill (Der Zar läßt sich photographieren, 1928) die wohl bekanntesten Beispiele lieferten. Das Textbuch strotzt vor sprudelnden Bühnenwitzen («Kennen Sie Goethes Faust?» – «Die meinige ist besser!») und soviel Slapstick wie in einer amerikanischen Stummfilmkomödie (eine junge Anbeterin, die als Trainingsdummy getarnt beinahe bewußtlos zusammengeschlagen wird, seufzt hinterher mit verklärtem Blick: «Ach, war das schön!»). Das Ganze erhält eine Musik, in der – so Krenek in späteren Jahren – «ich meinem aufgestauten Verlangen nachgab, einen wirklich populären Schlager zu schreiben … Im […] Schwergewicht […] schrieb ich nach Herzenslust Paso dobles (à la ‘Valencia’, damals ein ganz großer Schlager), Tangos, Blues und alle solche Sachen.» Das Orchester, obwohl absichtlich klein gehalten, wurde mit gängigen Modeinstrumenten des Jazz-Zeitalters gespickt – Holztrommeln, «Swanee-whistle» (d.h. die schlichte Stempelflöte), Flexaton (ein Instrument wie eine singende Säge) – sowie mit einem ausgesetzten Klavierpart, der zuweilen wie die musikalische Begleitung zu einem Stummfilm wirkt. Die Operette vermittelt einen Eindruck von atemloser Geschwindigkeit und Aktualität, die sicher darauf angelegt war, die Aufmerksamkeit des damaligen deutschen Opernpublikums zu fesseln.

Die drei Einakter erlebten am 6. Mai 1928 während des Maifestivals im Hessischen Staatstheater Wiesbaden ihre Uraufführung, wo Krenek bis kurz vorher angestellt war. Regie führte sein ehemaliger Chef Paul Bekker, den Takstock führte Joseph Rosenstock. Sofort wurde das Triptychon von Otto Klemperer für die Berliner Krolloper unter Vertrag gestellt, wo es am 2. Dezember 1928 eine glänzende Inszenierung erlebte. Danach gingen die drei Operneinakter meist getrennte Wege, wobei Schwergewicht des öfteren mit anderen Kurzopern am auf dem Programm stand, bis der kurz darauffolgende Wandel im künstlerischen und politischen Klima Deutschlands jeden Gedanken an eine weitere Aufführung unmöglich machte. In den neunziger Jahren wurde Schwergewicht als Teil des Triptychons u.a. in Stuttgart (1990) und Linz (1993) wiederbelebt und erwies sich dabei als leichtfüßiges, immer noch unterhaltsames Nebenprodukt der «Goldenen Zwanziger» Deutschlands.

Handelnde Personen
Adam Ochsenschwanz, Meisterboxer – Bass-Buffo
Evelyne, seien Gattin – Sopran
Gaston, ein Tanzmeister – Tenor
Professor Himmelhuber – Bariton
Anna Maria Himmelhuber, seine Tochter – Mezzo-Sopran
Ein Journalist – Tenor
Ein Regierungsrat – Tenor
Ottokar, Diener bei Ochsenschwanz – stumme Rolle
Ein Stubenmädchen – stumme Rolle

Zeit: die Gegenwart.

Handlung (aus: Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters): Der Trainingssaal im Haus des Meisterboxers: Ochsenschwanz ist pikiert, wieder seine Frau und den «ekelhaften Kerl» Gaston beim Training für den Weltrekord im Dauertanz anzutreffen. Sein Mißtrauen ist berechtigt, denn Evelyne betrachtet die «blöde Hopserei» nur als Gelegenheit, mit Gaston zusammen zu sein. Als er die beiden schließlich bei einem heimlichen Kuß ertappt, verliert er die Beherrschung und demoliert den Frühstückstisch und seinen Trainingsapparat. Gaston rettet sich unbemerkt in ein Nebenzimmer, während Evelyne von ihrem Mann in ein anderes Zimmer gesperrt wird. Danach überstürzen sich die Ereignisse: Die blaustrümpfinge Medizinstudentin Anna-Maria Himmelhuber schleicht sich in den Saal, um ein Autogramm des «Meisters» zu erhaschen, verbirgt sich unter einem Tisch, wird entdeckt und von Gaston in eine Trainingspuppe verwandelt. Inzwischen ist Professor Himmelhuber, ihr Vater, eingetroffen, um Ochsenschwanz das Ehrendoktorat zu überbringen. Der Boxer will dem Professor an der vermeintlichen Puppe sein Können demonstrieren und schlägt diese k.o. Himmelhuber entdeckt seine Tochter; Ochsenschwanz wird der Schändung einer Minderjährigen und des Ehebruchs bezichtigt. Um sich abzureagieren, setzt sich der genarrte Kraftprotz auf seinen Trainingsapparat, den Gaston, bevor er mit Evelyne in die Freiheit verschwindet, unter Strom setzt, so daß der Boxer unaufhörlich an der laufenden Maschine arbeiten muß. Auch der Regierungsrat, der Ochsenschwanz die Einladung zur Olympiade überbringt, stellt die Maschine nicht ab, damit der «Ehre der Nation» keine Trainingsminute verlorengehe.

Bradford Robinson, 2006

Aufführungsmaterial ist von der Universal Edition, Wien zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Universal Edition, Wien.

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