Halvorsen, Johan

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Halvorsen, Johan

Kongen op.19, Third Suite Op. 19

Art.-Nr.: 1792 Kategorien: ,

23,00 

Johan Halvorsen
(geb. Drammen, 15. März 1864 – gest. Oslo, 4. Dezember 1935)

Kongen
Dritte Suite, Op. 19

Abgesehen von Grieg und Ibsen ist ausserhalb von Skandinavien über norwegische Musik und Theater wenig bekannt. Eine lebendige Musikkultur vor der Mitte des 19. Jahrhunderts gab es hauptsächlich in der Volksmusik. Ab den 1850er Jahren wurden sich Mittelschicht-Musiker ihres isolierten Inseldaseins bewusst und wendeten sich ich in Richtung Deutschland mit seiner blühenden Tradition an romantischer Musik; zahlreiche Musiker begaben sich dorthin, um zu studieren. Umgekehrt erkannten im Zuge der Entstehung des norwegischen Nationalismus diese in Deutschland ausgebildeten Komponisten, dass Elemente aus dem reichen Fundus ihrer eigenen Musik durchaus in die romantische Tradition integriert werden könnten, mit der sie ihre Nachbarn im Süden vertraut gemacht hatten, um ein eigenständiges nordisches Genre zu kreieren. Die vier bekanntesten aus der Schar der in Leipzig ausgebildeten Musiker waren Svendsen, Grieg, Sinding und Halvorsen, eine Art verschworener Bruderschaft, in der man sich gegenseitig unterstützte und ermutigte.

Halvorsen, der jüngste der Gruppe, wurde in Dramen geboren, einer Stadt zwanzig Meilen westlich von Christiania (Oslo). Er zeigte schon in früher Jugend musikalisches Talent, lernte Geige, Flöte, Kornet und andere Blechblasinstrumente und wurde Mitglied einer lokalen Kapelle und zahlreicher Ensembles, die Christian Jehningen, ein deutscher Immigrant organisierte. Im Alter von 15 Jahren zog Halvorsen nach Christiania, um dort einer Militärkapelle beizutreten, wahrscheinlich um sich so als Musiker ausbilden lassen. Bald jedoch wurde ihm klar, dass es in dieser Umgebung wenig Entfaltungsmöglichkeiten für die Violine gab, die seine grosse Liebe war. Nach nur einem Jahr kündigte er und spielte die nächsten vier Jahre im Theaterorchester des Volkstheaters von Christiania, während er gleichzeitig seine Violinstudien bei Gadbrand Bøhn verfolgte, einem ortsansässigen Lehrer. Ein erfolgreiches Solokonzert in seiner Heimatstadt ermutigte ihn, ein Jahr am Stockholmer Konservatorium zu verbringen, wo er Geigenstunden bei Albert Lindberg nahm. Darauf ernannte man ihn zum Leiter des Orchestra Harmonien in Bergen, wo er in weniger als 12 Monaten die Musikliebhaber der Stadt so beeindruckt hatte, dass sie sein Gehalt erhöhten, um ihm weitere Studien im Ausland zu ermöglichen. Dies war der Beginn einer mehrjährigen Reise auf der Suche nach Möglichkeiten zu lehren, zu musizieren und weiteren Unterricht zu nehmen. Zuerst wandte er sich nach Leipzig, um unter dem herausragenden Violinlehrer Adolf Brodsky zu lernen. Darauf folgten Aufenthalte in Aberdeen, Helsinki, Berlin, St. Petersburg und Lüttich mit Arbeitsperioden bei den berühmten Violinpädagogen Leopold Auer und César Thomson.

Obwohl er eine grosse Virtuosität auf seinem Instrument erwarb, geschah es während eines Aufenthalts in Helsinki, dass ihn die lebendige Musikkultur der Stadt zum Komponieren und Dirigieren anregte. Auf diesen Geboten war er praktisch ein Autodidakt, und es sollten seine zentralen Wirkungsfelder für den Rest seines Lebens werden. Nach seine Rückkehr nach Norwegen führte ihn seine erste berufliche Verpflichtung (1893) nach Bergen, wo er der Musikdirektor am Den Nationale Scene und Dirigent der Orchestra Harmonien wurde. Nachhaltigen Erfolg erzielte er mit seinen Bojarernes intogsmarsch (Einzugsmarsch der Bojaren), sein am häufigsten aufgeführtes Werk, vor allem in der Transkription für Kapelle. Während er auch weiterhin auftrat und lehrte, schrieb er seine Passacaglia über ein Thema von Händel, ein Duo für Violine und Cello für sich selbst und einen Kollegen, das noch heute im Repertoire ist. Sein Dirigieren hatte sich zu einer Reife entwickelt, dass bei der Aufführung seiner Suite aus Vansatesena mit dem gastierenden Concertgebouw Orchester beim Bergen Festival im Jahr 1898 sein Kollege Johan Svendsen erklärte: „ Du bist ein Maestro!“. Seine Arbeit in Bergen war derart erfolgreich und beliebt, dass zu erwarten war, dass er zum Musikdirektor des neuen Nationaltheaters in Christiania, der Hauptstadt des Landes, aufsteigen sollte, das der herausragende Bühnenautor Bjørnstjerne Bjørnson als Theatermanager leitete. Das Theater rühmte sich für das grösste professionelle Symphonieorchester Norwegens mit insgesamt 43 Musikern, das Bühnenmusik und Entr‘actes in sechs Abendvorstellung pro Woche spielte. Halvorsen fiel nun die Aufgabe zu, einen grossen Teil der benötigten Musik zu liefern. Zudem gab er zahlreiche Orchesterkonzerte und produzierte zwei Opern pro Jahr. Angesichts dieses hektischen Zeitplans von an die 300 Vorstellungen pro Jahr überrascht es nicht, dass er eine Reihe Theaterkompositionen zu Konzertsuiten umarbeitete. Die vorliegende Partitur besteht aus drei Sätzen der Bühnenmusik, die er für Bjørnson’s Schauspiel Kongen schuf, das seine Erstproduktion im Jahre 1902 erlebte.

Bjørnson schrieb sein Schauspiel im Jahr 1877, kurz nach seiner Rückkehr nach Norwegen im Anschluss an einen dreijährigen Aufenthalt in Südeuropa. Es war das dritte von drei Schauspielen (die ersten beiden entstanden in Florenz und Rom), die von seinem Talent für realistische Dramen zeugten. Obwohl man ihn als Bühnenautor schätzte, beruhte sein Ruf auf seiner Dichtung und den Kurzgeschichten über das Leben der norwegischen Landbevölkerung sowie Stücken über historische Themen. Während seines erholsamen Exils waren Bjørnsons kreativen Kräfte, die während fast eines Jahrzehnt als Theatermanager mit regelmässigen Publikationen abgestumpft waren, wieder zu neuem Leben erwacht. Diese Schauspiele spiegelten in der Sprache des Dramas die Sozialphilosophie von Bjørnson Freund wieder, dem bedeutenden Kritiker Georg Brandes, und vieler der radikalen Denker und Autoren ausserhalb von Skandinavien, die der Autor während seiner Erholungspause mit Heisshunger gelesen hatte. Mit seinen ersten beiden Bühnenwerke versuchte er, die Vorstellung eines höheren Niveaus von Wahrhaftigkeit in der Welt des Journalismus und der Finanzen zu entwickeln. Kongen stellt die Frage nach der Aufgabe, die eine Erbmonarchie in einer modernen Welt haben könnte, sollte sie überhaupt noch eine haben. Kann die konstitutionelle Monarchie eine funktionierende Alternative zum Republikanismus sein? Das Stück, bestehend aus vier Akten und einem Prolog, nähert sich dieser komplexen Fragestellung aus der Perspektive des Monarchen und stellt diesen in das Zentrum der Handlung. Neben einer Sozialphilosophie beinhaltet das Bühnenwerk so unterschiedliche Elemente wie Komödie, Romanze, Melodram und Tragödie. Zusätzlich und seltsam anmutend schuf der Autor poetische Zwischenspiele (mellemspils) von hintersinniger Art, die sich inhaltlich mit der im Drama dargestellten Realität rieben. Obwohl das Stück nach seiner Veröffentlichung im Jahre 1877 viel gelesen und diskutiert wurde, überrascht es angesichts dessen Komplexität nicht, dass bis zur Erstaufführung des Werks noch 26 Jahre ins Land gingen. Anlässlich dieser Premiere schrieb Halvorsen eine beträchtlich Menge an Musik, von der schliesslich zehn Stücke für die Produktion verwendet wurden. Selbst dann aber erwies sich das Werk nicht als uneingeschränkter Erfolg.

Symfonisk Intermezzo
Dieses Stück dient als Entr’acte zu Akt II und wurde geschrieben als Ersatz für das originale dramatische Zwischenspiel, das sich als ungeeignet für die Bühne erwies. Im Schauspiel nach ungefähr einem Drittel von Akt II, bemerkt der König: „Ich versuchte nur, meine Gedanken durch Klatsch und Tratsch abzutöten. Meine Angst war mir unerträglich geworden.“ Wir erfahren, dass der König sich in Clara, ein Mädchen aus der Mittelklasse, verliebt hatte, deren Vater zufällig sein erbittertster Kritiker war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Clara den König verschmäht (wie im Prolog zu hören, wo sie seine Annäherungsversuche mit den Worten „Ich verachte ihn“ abweist.) Nun hatte der König eine weitere Begegnung in der Hoffnung arrangiert, dass sie ihn erhöre, was der Grund für seine übermächtige Nervosität war. Dieser Zustand und das Bild, das der König von ihr in seiner Vorstellung pflegte, sind die beiden Elemente, die Halvorsen in seiner musikalischen Umsetzung interessieren. Angesichts der Intensität der Gefühle, die die Szene bestimmen, überrascht es nicht, dass der Komponist sich – bewusst oder unbewusst – für eine an Wagner angelehnte Musiksprache entschied. Viel erinnert an Tristan und Isolde. Die eröffnenden Takte, eine chromatisch absteigende Passage der gedämpften Streicher, schafft eine unheilverkündende Stimmung, die auf die Ernsthaftigkeit der Tonart d-Moll vorbereitet. Darauf folgt ein ausladendes Thema, bestehend aus vier eigenständigen Phrasen, gespielt von unbegleiteten Celli. Die Kargheit der Linie erlaubt es, der Kontur der Melodie und deren ausdrucksstarken Intervallen besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Die abschliessende Phrase wird durch die Bratschen verstärkt, und eine umkehrende Figur der zweiten Violinen in der Kadenz bereitet auf die Wiederholung des Themas vor, das unmittelbar von den Geigen mit einer Gegenmelodie in den Oboen aufgegriffen wird, harmonisiert mit leichter Begleitung durch die Holzbläser. Mit Elemente aus diesen Themen baut sich die Musik allmählich zu einem ungestümem Höhepunkt auf, den vier verminderte Akkorde im fortissimo auszeichnen, die unterbrochen werden von einer kurzen absteigenden Figur à la Tristan. Es wäre sicher nicht abwegig, sie als „Claras Liebesthema“ zu bezeichnen. Als die Musik abebbt, erklingt das Liebesthema mit zärtlichem Klang, wird aber gleich wieder bewegter und bricht ohne Vorwarnung ab. Die Musik baut sich ein drittes Mal auf, hier tritt durch ständig wechselnde Texturen und Klangfarben vor allem Halvorsen Geschick als Orchestrator in den Vordergrund. Auf dem Höhepunkt verkünden Hörner und Trompeten das Anfangsthema, dann übernehmen es die Posaunen, bis schliesslich der Höhepunkt mit D-Dur erreicht ist. Die Musik verklingt schnell, um in eine Wiederholung der anfänglich Akkordprogession zu führen, gefolgt von einem Fragment des Hauptthemas durch das Solocello, das den Satz zu einem Ende bringt.

Hyrdepigernes Dans (Tanz der Schäferinnen)
Der Prolog des Dramas eröffnet in einer „grossen gotischen Halle, hell erleuchtet, in dem ein Maskenball stattfindet. Der Vorhang hebt sich, und ein Ballett wird im Zentrum des Saals aufgeführt. Maskierte Tänzer sind rundum platziert und schauen zu“. Dies ist die Musik zum Ballett. Sie zeigt den Komponisten von seiner leichtesten Seite und als souveränen Kosmopolit. Im Kern ist die Musik eine Gavotte und eine Musette, dreiteilig entworfen, ABA, wie es in französischen Barocksuite üblich war, abgeleitet von den populären ländlichen Vergnügungen am französischen Hof. Das erstere besteht aus zwei kontrastierenden Themen, das zweite erklingt über einem Orgelpunkt des Basses. Dieser Bezug zu höfischer Unterhaltung hilft, die Idee der Erbmonarchie zu betonen, die eines der zentralen Spannungsmomente des Stückes ist.

Elegi
Wie bereits zuvor angemerkt, finden sich in Bjørnsons Stück eine Reihe von widersprüchlichen, man könnte fast sagen nicht zu vereinbarenden Elementen. Das abrupte melodramatische Ende von Akt III, in dem die Heldin beim Anblick des Geistes ihres Vater tot niedersinkt, strapaziert die Glaubwürdigkeit bis an ihre Grenzen. Sicherlich brauchte der Autor deren Tod, um eine Auflösung im dritten Akt einzuleiten. Aber Halvorsen nutzt die Gelegenheit, eine Elegie von grosser Zärtlichkeit und Schönheit zu komponieren. Ähnlich wie bereits im ersten Satz wird hier das Talent des Komponisten hörbar, eine grosse Komposition mit sehr sparsamen Mitteln zu kreieren, die in diesem Falle ein Satz von Variationen über ein kurzes Anfangsmotiv sind: eine ab – und aufsteigende Figur mit einem Vorhaltschluss auf der Dominante und Überlappungen zwischen den Stimmen. Ein ähnliches, wehmütigeres Thema molto tranquillo wird von den Flöten und Klarinetten vorgestellt, aber bald schon fragmentiert. Nun wird die Musik lebhafter, betont durch eine unterbrochene Kadenz. Nachdem das erste Thema ein weiteres Mal den intensiven Schmerz der Trauer zu Gehör bringt, scheint eine Abfolge von seufzenden absteigenden Quarten auf Resignation hinzudeuten, die schliesslich in eine stille Koda führt.
Die pathétique Natur der äusseren Sätze der Kongen Suite kommt Halvoren romantischer Neigung entgegen. Der Einfluss von Tschaikowsky und Liszt ist spürbar, auch Wagner klingt an – nordischen Volkselemente wären hier fehl am Platz. Halvorsen erweist sich als Meister in der präzisen Darstellung von Stimmungen und der Psychologie der Charaktere und Situationen, die er portraitieren will. Wir wundern uns über seine autodidaktische Beherrschung der Orchestrierung, bis wir uns an seine Stunden praktischer Erfahrung beim Komponieren und Dirigieren erinnern. Besonnen wählte Halvorsen nur die besten Ausschnitte der Schauspielmusik aus und vereinte sie zu einer Suite. Die vorliegende Partitur hat eine Spielzeit von nur 15 Minuten. Nachdem Bjørnson die Musik gehört hatte, erklärte er, dass er keine Erlaubnis geben würde, sein Stück ohne diese Musik aufzuführen. Ein Konzert in Bergen während einer Konzertreise mit seinem Orchester im Sommer 1903, bei dem Halvorsen auch die Kongen Suite auf dem Programm hatte, veranlasste Grieg, seine Bewunderung auszudrücken: „ Seine Leistung sind derart, dass man nur bedauern kann, dass nicht ganz Europa hier anwesend ist, um dies zu erleben“. Ein paar Jahre später, so wird berichtet, soll der Komponist selbst geäussert haben, dass er Kongen für die beste Musik halte, die er je geschrieben habe.

Roderick L. Sharpe, 2016

Aufführungsmaterial ist von Hansen, Kopenhagen, zu beziehen.

Partitur Nr.

1792

Edition

Repertoire Explorer

Sonderedition
Genre

Orchestra

Format

210 x 297 mm

Performance materials
Piano reduction
Anmerkungen
Druck

Reprint

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