Bortnjanski, Dmitri Stepanowitsch

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Bortnjanski, Dmitri Stepanowitsch

Le Faucon (in two volumes with Russian and French libretto)

Art.-Nr.: 2011 Kategorie:

96,00 

Dmitri Stepanowitsch Bortnjanski

(geb. Gluchov, Ukraine, 1751 – gest. St. Petersburg, 10. Oktober 1925)

Le faucon

(„Der Falke“, 1786)

Opéra comique in drei Akten

Libretto von Franz-Hermann Lafermière nach Boccaccio

Vorwort

Am 10. April 1779 wurde eine gestrenge Anweisung vom russischen Zarenhof an den damals 28-jährigen Dmitri Bortnjanski geschickt: „Monsieur Bortnjanski! Ihr seid nunmehr bereits seit zehn Jahren in Italien ansässig. Ihr habt Euch als Künstler bewährt, Ihr braucht von Eurem Lehrmeister keine Unterweisungen mehr. Es ist daher an die Zeit, dass Ihr in die Heimat zurückkehret…. Hier seid Ihr nämlich dringend gebraucht.“ Genau dies hat er auch prompt getan, und das Weitere ist in die Musikgeschichte eingegangen: Bortnjanski wurde zum Kapellmeister des kaiserlichen Hofchors in St. Petersburg ernannt und 1796 auch zu dessen Leiter erhoben. In diesem Amt schuf er eine Unzahl an geistlichen Werken, die seitdem zum festen Repertoire der russischen Kirchenmusik gehören und deren Ruhm solcherart war, dass kein Geringerer als Tschaikowsky sie 1885 in einer zehnbändigen Gesamtausgabe herausgab. Als kleine Ironie der Geschichte wurde 1813 ausgerechnet eine Tantum Ergo-Vertonung des Russen Bortnjanski (Kol Slaven) auf Geheiß des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm III. in den Großen Zapfenstreich eingebaut, wobei es seitdem als „Ich bete an die Macht der Liebe“ bei jedem bedeutsamen Militärzeremoniell Deutschlands ertönt.

Noch bevor Bortnjanski zum ersten russischen Kirchenkomponisten seiner Zeit aufstieg, war er jedoch ein Schöpfer von feingeschliffenen italienischen und französischen Opern, und seine Laufbahn schien ihn in Richtung Theaterkarriere zu lenken. Im zarten Alter von nur sieben Jahren wurde er aufgrund seines wunderschönen Knabensoprans von der heimatlichen Ukraine (sein Vater war sogar Kosak gewesen) weggerissen und an den glänzenden Petersburger Zarenhof geschickt, um dort als Berufsmusiker ausgebildet zu werden. Der anmutige Junge wurde als Liebling der Kaiserin Elisabeth gehätschelt, erhielt in allen wichtigen europäischen Sprachen Unterricht (Türkisch offensichtlich nicht ausgenommen) und wurde u.a. vom großen italienischen Komponisten Baldassare Galuppi (1706-1785) musikalisch bestens ausgebildet. 1764 – im Alter von lediglich dreizehn Jahren! – sang er nachweislich zum erstenmal mit seinem Knabensopran die männliche Hauptrolle in einer Opervorstellung, und noch im Jugendalter war er bereits – um mit seiner Biographin Marina Ritzarev zu reden – „ein gewandter Gentleman und gebildeter Höfling“. Alsbald nahm Galuppi den brillanten 17jährigen mit auf Reise nach Italien, wo der junge Bortnjanski auch elf Jahre blieb und drei italienische Opere serie für die führenden Musikstädte des Landes schrieb. Außerdem beriet er als Kunstsachverständiger den russischen Hof beim Erwerb italienischer Gemälde und – so scheint es – agierte zeitweise auch als vielsprachiger diplomatischer Verbindungsmann bei den Militärfeldzügen des Zaren in Griechenland und Albanien.

Nach seiner Rückkehr nach Russland Ende 1779 wurde Bortnjanski zum Günstling des Thronfolgerpaars Pawel Petrowitsch und Sophie Dorothea von Württemberg (der späteren Maria Fjodorowna), wobei er an letztere auch Klavierunterricht erteilte. Der Kronprinz und seine bildschönen jungen Gemahlin waren ausgesprochene Freunde der Kunstmusik Westeuropas (auf ihren Reisen haben sie nachweislich die Bekanntschaft von Haydn und Mozart ausgesucht), und binnen kurzer Zeit sah sich Bortnjanski vor die Aufgabe gestellt, Opern für die Zarenpaläste in Gatschina und Pawlowsk zu komponieren. Als Ergebnis wurde das Werkverzeichnis Bortnjanskis mit insgesamt drei weiteren Theaterwerken bereichert: La fête du seigneur, Le faucon und Le fils-rival. Alle drei dieser französischen Opéras comiques wurden 1786 privat aufgeführt, wobei die Solorollen mit Höflingen vom sogenannten „kleinen Hof“ des Kronprinzen besetzt wurden. Die Ungezwungenheit dieser Theaterunternehmungen lässt sich anhand eines Augenzeugenberichts messen, den einer dieser dilettierenden Höflinge speziell in Bezug auf Le faucon hinterließ: „Ihren Hohheiten hat [das neue Werk] ausgesprochen gut gefallen: Es war faszinierend und mit dem Zeitgeschmack völlig im Einklang (d.h. sehr romantisch)…. Die bemerkenswerte Musik wurde durch Monsieur Bortnjanski komponiert, und ihre Hohheiten waren sehr erpicht darauf, sie aufführen zu lassen…. Eines Nachmittags wurde es vor uns allen im Arbeitszimmer der Großherzogs vom Autor selbst vorgetragen. Die Rollen wurden auf der Stelle verteilt und wir wurden angewiesen, die Oper einzustudieren.“

Verfasst wurde das Libretto des Faucon vom Privatsekretären des Kronprinzen, dem Schweizer Gelehrten Franz-Hermann Lafermière, und zwar mit enger Anlehnung an einem gleichnamigen, 1772 mit Musik von Pierre-Alexandre Monsigny aufgeführten Operntext des führenden französischen Librettisten Michel-Jean Sedaine. Die Handlung selber entstammt wiederum dem Decameron des Giovanni Boccaccio, der sie als 9. Geschichte des 5. Tages durch die junge Adelsdame Fiammetta vortragen ließ, sie entspringt jedoch noch älteren literarischen Vorlagen aus dem Hindu- und persischen Kulturraum. Beim Faucon handelt es sich um die einfache Geschichte von zwei Liebespaaren, einem hochgeborenen, ‚das vorwiegend im Stil der italienischen Cantilena singt, sowie einem niederen, das sich des leichteren Stils der französischen Opéra comique bedient. Mit seinem gefühlsbetont-sentimentalen Grundgestus weist der Text die typischen Merkmale der französischen Comédie larmoyant auf, bei der eine sich anbahnende Tragödie zum Schluss eine glückliche Wendung mit reichlichen Gefühlsausbrüchen und Freudentränen erfährt – ein Phänomen, das auch Freunden des Hollywood-Films durchaus vertraut sein dürfte.

Die Uraufführung des Faucon fand am 22. Oktober 1786 im kaiserlichen Palast zu Gatschina statt und war allem Anschein nach ein großer Erfolg. Die Existenz von mindestens fünf Abschriften der Partitur zusätzlich zu dem Komponistenautograph lässt darauf schließen, dass das Werk offensichtlich auch außerhalb des „kleinen Hofes“ mehrfach aufgeführt wurde. Besondere Beliebtheit errang die g-Moll-Romanze der Jeannette („Le beau Tirsis“), und zwecks Aufführungen im Freien gab es auszugsweise auch Bearbeitungen für Bläsersextett (je zwei Klarinetten, Hörner und Fagotte). Dennoch: Als private, von Dilettanten gesungene Musikunterhaltung hat sich Le faucon im Opernrepertoire nie behaupten können, und es dauerte fast zwei Jahrhunderte, bis die Oper 1971 in Moskau nochmals ertönen durfte. Kurz darauf wurde das Werk von A. Rozanov herausgegeben, ins Russische übersetzt und unter dem Titel Sokol („Falke“) als 5. Band der Reihe Monumente russischer Musik (Moskau 1975) veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt war das Libretto lediglich als Fragment bekannt, und der Herausgeber Rozanov musste die fehlende zweite Hälfte anhand des Operntextes von Sedaine aus dem Jahr 1772 rekonstruieren. In der Zwischenzeit ist jedoch das ursprüngliche Libretto in der Bibliothek des Grafen Woronzow wiederaufgetaucht, und das Werk kann nun in seiner Originalform erneut aufgeführt werden. Wiederaufnahmen gab es bisher 1979 im Kammer-Musiktheater Moskau, 1988 im New Yorker Avery-Fisher-Hall (in Auszügen) sowie 1995 in ukrainischer Sprache in Kiew.

Handelnde Personen

Elvire – Sopran

Fédéric, ihr Liebhaber – Tenor

Pédrillo, sein Diener – Tenor

Marine, Dienerin Elviras – Sopran

Grégoire, ein Bauer – Bass

Jeanette, seine Tochter – Mezzosopran

Promptus, 1. Doktor – Tenor

Lentullus, 2. Doktor – Tenor oder Bariton

Chor

Musikanten (Sopran, Alt, Bass)

Zeit und Ort der Handlung

In Florenz und auf einem Landgut in der Nähe der Stadt, 16. Jahrhundert.

Zusammenfassung der Handlung

I. Akt, 1. Bild, in der Stadt, im Hintergrund ein Haus mit Balkon zum Fluss hin, auf dem Fluss Boote mit Musikanten: Der Edelmann Fédéric hat sich in die wohlhabende Witwe Elvire verliebt und fast sein ganzes Vermögen ausgegeben, um sie für sich zu gewinnen. Seine Bemühungen sind jedoch umsonst, und er zieht sich verarmt auf sein Landgut zu seinem geliebten Falken zurück. Gefolgt wird er von seinem treuen Diener Pédrillo, der jedoch die Entscheidung seines Herrn missbilligt, denn er hat sich wiederum in Elvirens Dienerin Marine verliebt. 2. Bild, Salon im Hause Elvirens: Elvire widmet sich ganz der Genesung des eigenen erkrankten Sohnes und verschwendet daher keine Gedanken an die Liebe. Am Ende des Bildes erfolgt ein komisches Zwischenspiel, in dem zwei Ärzte versehentlich versuchen, Marine statt des Sohnes zu verarzten.

II. Akt, Fédérics Landhaus: Fédéric wird durch Pédrillo, den alten Bauern Grégoire und dessen Tochter musikalisch unterhalten, seine Stimmung bleibt jedoch nach wie vor duster. Plötzlich erscheint Elvire mit Marine; Fédéric fühlt sich als Gastgeber verpflichtet, ihnen ein Gastmahl anzubieten.

III. Akt, Zimmer in Fédérics Landhaus mit Blick auf einen Garten und Berge: Die Gäste werden durch die Lieder Jeanettes und Grégoires unterhalten. Schließlich verrät Elvire den wahren Grund ihres Besuches: Sie will Fédéric um seinen Falken bitten, um damit ihrem leidenden Sohn eine Freude zu bereiten. Fédéric muss gestehen, dass er in Ermangelung eines anderen Gerichts den Falken seinen Gästen soeben aufgetischt habe. Das unglückliche Schicksal des geliebten Vogels beeindruckt die Edeldame, die daraufhin eine Liebe zu Fédéric empfindet und seinen Heiratsantrag annimmt. Die Frischverlobten singen ein Liebesduett, in das Marine und Pédrillo ebenfalls einstimmen.

Bradford Robinson, 2012

Aufführungsmaterial ist von Muzyk, Moskau zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.

 

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